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Mobile Culture Studies. The Journal 6 2o20 (Travel)
Mirja Riggert | Selbstporträt mit Spiegelreflex 129
gap between direct experience and mediated experience“ (Topping 2016: 86–87). Denn sonst
passiere genau jene fixierte Monumentalisierung eines Reiseeindrucks, wie es der unausweich-
liche Status der Medialisierung in der Fotografie ausübe.
Brüche im Reisenarrativ
Das Zusammenspiel aus Text und Bild eröffnet, wie in den About Pages gezeigt werden konnte,
Möglichkeiten der Durchbrechung einer allzu einheitlichen und fixierenden Sicht auf ein Rei-
sesujet. In den About Pages bezieht sich diese Durchbrechung nicht auf die Zuschreibung eines
eindimensionalen Blicks auf eine bereiste Kultur, sondern auf die Formen der Selbstinszenie-
rung. Sie findet auf drei Ebenen statt:
1 — Indem die visuellen und verbalen Elemente wechselseitig ein sprechendes Ich bzw.
angesprochenes Du beleuchten, unterlaufen sie die Vorstellung einer einseitigen Selbstdarstel-
lung. Die Erzählinstanzen performen ein ausgeprägtes Interesse am Du, obgleich die Website
eine Ich-Fokussierung ankündigt. Damit wird die Selbstdarstellung als sozial bedeutungsvoll
inszeniert und die präsentierte Ich-Erfahrung in einen größeren, gesellschaftlichen Zusammen-
hang gehoben.
2 — Ähnliches offenbaren die intramedialen Wechselverhältnisse. Zum einen findet vor
allem hier eine selbstreferentielle Haltung im Bild statt, die sich im textlichen Narrativ partiell
auch andeutet. Die Protagonistinnen reflektieren über den Akt des Fotografierens (bzw. über
den Akt des Schreibens) und kehren Subjekt-Objekt-Dominationen in der Betrachtung mit-
unter um, indem sie den fotografischen Status des Fotografierens zeigen oder die Linse auf die
Betrachtenden halten. Diese implizite Reflexion über die Art der Medialisierung wird durch
eine metaisierende Reisedarstellung offengelegt: Die Narration reflektiert über sich selbst.
Damit gelangen Subjekt und Objekt der Betrachtung bzw. Ich und Du in eine unendliche,
reziproke Beziehung, bei der beide austauschbar und gleichwertig sind. Die individuelle Reise-
repräsentation wird über metanarrative Brechungen zur universalen.
3 — Die Metanarration im Bild konkurriert mit auf derselben Seite erscheinenden Dar-
stellungsformen der Authentisierung: In den Bildern wird eine Unmittelbarkeit der Reisedar-
stellung suggeriert, bei der die Rezipierenden als Augenzeugen auf der Bildebene mitgedacht
werden und somit das Geschehen, imaginiert in die Fiktion, bezeugen. Diese Divergenz aus
Medialisierung und Unmittelbarkeit der Reiseerfahrung ist es, die zu den von Topping gefor-
derten Lücken im Reisenarrativ führen. Mit dieser Inkohärenz der Darstellung entziehen die
Erzählerinnen sich selbst einer fixierten Zuschreibung. Durch die Selbst-Sublimationen über
eine immer wieder durchscheinende Du-Zentrierung wird der kommerzialisierte Charakter
der Website, der von zahlreichen Affiliate-Links zu Kamera-Firmen inklusive Provisionsgabe
zeugt, zu kompensieren versucht. Würde nur die Kameraausrüstung abgelichtet werden, wäre
der Werbe-Charakter des Produkts allzu klar als solcher erkennbar. Mit der unterschiedlichen
Präsentation der fotografischen Praxis, bei der es auch um die subjektivierte Selbstdarstellung
als Fotografin und um fotografische Professionalitätsbekundungen mit der Weitergabe an ein
Du geht, vervielfältigt sich die Sichtweise auf das Produkt Kamera.
Es ließe sich argumentieren, dass eine weitgehend kohärente und unbrüchige Narration
keiner Ablenkung von dominierenden Sujets, die von Produktvermarktung und Selbstfinan-
zierung zeugen, bedarf. Auf Bravebird und Fräulein Draußen zeigen sich solch weitgehend
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Mobile Culture Studies, Band 2/2020
The Journal
- Titel
- >mcs_lab>
- Untertitel
- Mobile Culture Studies
- Band
- 2/2020
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 270
- Kategorien
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal