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133 Kretinismus.
maß, die Hände und Füße besonders breit und die Knie vorgebogen; der Platt-
fuß ist bei nach auswärtsstehenden Unterschenkeln gewöhnlich so hochgradig aus-
gebildet, daß der Gang besonders schwerfällig und schleppend erscheint. Die
Haut ist in der Regel erdfahl oder bräunlich, schlapp und schmuzig. Diese Ge-
schöpfe sind sehr gefr ässig und immer von Hunger geplagt. Bei dm meisten
ist der Geschlechtstrieb bedeutend; man weiß aber kein Beispiel, daß sie Kinder
gezeugt hätten- Ich will dies traurige Bild nicht weiter ausführen, und nur be-
merken, daß manche Kretinen, obwol sie den Hauptcharakter dieser Entartung an
sich tragen, doch in einer milderen, mehr menschlichen Form erscheinen, andere aber
wieder in so hohem Grade entartet sind, daß sie unfähig sich aufrecht zu bewegen,
oder die Hände zu gebrauchen, gefüttert werden müssen, und eigentlich blos wie
Pflanzen vegetiren. Nur die herrschende Meinung, diefe Unglüklichen seim ein
..Haussegen", macht den gemütlichen Gebirgs - Bewohnern eine solche Last er-
träglich.
«i. E n t w i k l u n g des K r e t i n i s m u s .
Der Kretinismus entsteht aus denselben Ursachen wie die kretinische Anlage,
und ist daher wenigstens in Steiermark auch nur auf dieselben Gegenden be-
schränkt, nämlich auf die quarzt g«kristallinischen Nrgebirg- und die sich
daranschließenden Grauwaken-Formazionen. In anderen Gegenden un-
seres Landes eristirt kein Kretinismus. Die Anlage dazu mag nicht selten an-
geerbt sein. zumal bei Kindern, derm großer Umfang zu ihrer Länge in einem
Mißverhältniß steht. In solchen Mm sind die Kinder meistens schlaff, haben
eine schwache, oft quikende Stimme, sind fast immer ruhig, schlafen viel, könnm
den Kopf schwer aufrecht erhalten, merken wmig auf ihre Umgebung, lernen spät
gehm und noch später oder gar nicht redm. In seltenen Fällen entwikelt sich
schon im Kinde der ganze kretinische Habitus nnd läßt auf eine schon ange-
borne Gehirn-Verkümmerung schließen. Meistens tritt aber bei einiger-
massen vorhandener kretinischm Anlage in der Periode des ersten Zahnbruchbruches
oder doch in dm ersten Kindesjahren ein Gehirnleiden ein. welches, wmn es
vernachlässiget wird, die eigentliche Ursache der Ausbildung des Kretinismus ist.
Dr. Schitler, Stiftarzt in St. Lambrecht, versicherte den Herrn Dr.
Pir inger (Referenten der ständigen Medizinal-Kommission in Graz über die Ur-
sachen :c. des Kretinismus), daß in dm dortigen Alpentälern bei dm Säuglin-
gen eine schleichende Gehirnentzündung sehr häufig vorkomme, welche
zwar nicht oft todte, aber Ausschwizungen im Gehirne, namentlich chronischen
Wasserkopf erzeuge, welcher sich mit der Zeit verliere und Blödsinn oder Kretinis-
mus zurüklaffe. Dr. Schitler geht so weit. zu behaupten, daß jeder wahre
Kretinismus ohne Ausname einer verwahrlosten schleichenden Gehirnentzün-
dung mit Waffererguß seine Entstehung verdanke. Dr. F. Ungar beobachtete an
dm von kretinischm Einflüssen nicht freien Schwanberger - Alpen ein zweijähriges
Mädchm, welches schon gehm und redm gelernt hatte, aber von einem heftigen
Medizinisch-statistische Topografie des Herzogtumes Steiermark
- Titel
- Medizinisch-statistische Topografie des Herzogtumes Steiermark
- Autor
- Mathias Macher
- Verlag
- Ferstl'sche Buchhandlung
- Ort
- Graz
- Datum
- 1860
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.91 x 20.62 cm
- Seiten
- 632
- Schlagwörter
- Topographie, Kartografie, Statistik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen