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© 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen
ISBN Print: 9783847111658 – ISBN E-Lib: 9783737011655
mansozialerPraxiseinenormativeKompetenzzubilligt.26DasFelddesSozialen
– Erfahrungen vonMenschen, deren Lebenswirklichkeit und die Sachgesetz-
lichkeiten derWelt – das alles muss dannmehr sein als ein Steinbruch für
ethischeNormen,die ihreNormativität vonwoandersherbeziehen.
Pateeiner solchenHermeneutik sozialerPraxis ist aufphilosophischerSeite
etwaderAnsatz vonAxelHonneth („DasRecht der Freiheit“)27, aber auchdie
Überlegungenzur„affirmativenGenealogie“desSoziologenHansJoas.28 Ihnen
geht es in verschiedenenVarianten darum einzugestehen, dass die in sozialer
Praxis sichergebende Interaktion fürdieHerausbildungeinesnormativenAn-
spruchs unumgehbar ist.Man könnte vereinfacht sagen: Normen fallen nicht
vomHimmel,siewachseninProzessensozialerPraxis.Darinentwickeltsichihr
Anspruch,erwirdunterdenBedingungenhistorischerundsozialerKontingenz
variiert und in seinerTragweitemoduliert. SozialePraxiswirdgewissermaßen
zum „Entwickler“ eines normativ-moralischen Anspruchs. Ohne Aussagen
darüber,wiesichabstrakteethischeNormeninKontextengeschichtlich-sozialer
Wirklichkeit verkörpern, wären solcheNormen von äußerst geringemAussa-
gewert.
4. Fazit
Damit komme ich schließlich noch einmal zur Frage derMacht zurück: Das
Nachdenken über ein spezifisches theologisches Thema – Macht und Herr-
schaft– hat mich zu einer Reflexion über Methode und Hermeneutik der
theologischen Ethik geführt:Macht undHerrschaft sind zwar zunächst Stief-
kinder der theologischen Ethik, sie sollten aber, wie ich nahegelegt habe, viel
stärker als Schlüsselkategorien erkannt und integriert werden. Der nächste
Schritt–denichandieserStelle jedochnichtmehrgehenkann–bestündenun
darinzuüberlegen,was es für einzelne ethischeHandlungsfelderbedeutet, die
sozialePraxis alsnormativmitverantwortliche Instanzernst zunehmen.29
HannahArendt beschreibtMacht als Qualität jeder Gemeinschaftsbildung,
unableitbar, ursprünglich.30AnderWurzeldieser ,solidaristischen‘Auffassung
26 EinegrundständigeReflexionzudiesemGedanken findet sichz.B. in:AlexanderFilipovic´,
Erfahrung–Vernunft–Praxis.ChristlicheSozialethikimGesprächmitdemphilosophischen
Pragmatismus,Paderborn2015.
27 AxelHonneth,DasRechtderFreiheit.Grundriss einerdemokratischenSittlichkeit, Frank-
furt a.M.2011.
28 HansJoas,DieSakralitätderPerson.EineneueGenealogiederMenschenrechte,Berlin2011.
29 MitBlickaufdasFeldderMenschenrechtehabe ichdiesbereits erörtert in:DanielBogner,
DasRechtdesPolitischen.EinneuerBegriffderMenschenrechte,Bielefeld2014.
30 Vgl.HannahArendt,MachtundGewalt.
MachtundHerrschaft –StiefkinderoderSchlüsselkategorien theologischerEthik? 89
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Menschenrechte und Gerechtigkeit als bleibende Aufgaben
Beiträge aus Religion, Theologie, Ethik, Recht und Wirtschaft
- Titel
- Menschenrechte und Gerechtigkeit als bleibende Aufgaben
- Untertitel
- Beiträge aus Religion, Theologie, Ethik, Recht und Wirtschaft
- Autoren
- Irene Klissenbauer
- Franz Gassner
- Petra Steinmair-Pösel
- Herausgeber
- Peter G. Kirchschläger
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1165-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 722
- Kategorie
- Recht und Politik