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© 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen
ISBN Print: 9783847111658 – ISBN E-Lib: 9783737011655
6. EinpostnihilistischerNarrativ fürEuropa
Dieswirft die Frage nach einempostnihilistischenNarrativ des öffentlichen
Raums auf, verbundenmit der Frage, wie und ob das Christentumbzw. die
abrahamitischeTradition (welche inGestalt des Islams zumindest inEuropa
immer stärkerdasChristentumersetzt) zu einemsolchenNarrativ beitragen
können. Zu bestimmenwäre in diesemZusammenhang auch dasVerhältnis
vonsäkularerGesellschaftundderreligiösenWeltderAffekte,dienichtzuletzt
auchdurchden Islamimmerdeutlicherwird.EuropasZukunfthängtauf alle
Fälle an einer fruchtbarenVerbindung vonAufklärung undAufnahme (und
auch Transformation) religiös-affektiver Geistigkeit, die durch die massive
MigrationvonMuslimen immer stärker in dieÖffentlichkeit tritt. Kann also
Europa neue kreative Räume aus denGeschichten derMigranten unddamit
neue FormenvonÖffentlichkeit schaffen oder bleibt es auf sich bezogen ein
Projekt desAusschlusses und der umfassendenVirtualisierung undAnnihi-
lierungdesAnderen?
Bevor auf diese Fragen eingegangenwird, soll auf eines der bedeutsamsten
Ereignisse der letzten Jahre, vielleicht Jahrzehnte zurückgekommen werden,
nämlich die Massenmigration, die ganz Westeuropa betrifft. Deutschland,
immer stärker das politische, wirtschaftliche und auch symbolische Zentrum
jenes Europas, welches durch den Gedanken einer Europäischen (Frie-
dens-)Union geprägt ist, entschied sich im Zuge der Massenankunft von
Flüchtlingen imJahre 2015grossomodo für einePolitikderAufnahme.Dabei
bedeutete dieses Ereignis nicht nur die endgültige Erkenntnis Deutschlands,
Einwanderungsland und erträumte Destination ganzer Völkerschaften und
Kontinente zu sein, sondern vor allem – unabhängig von der Frage, welche
sachpolitischen und humanenÜberlegungen und Zwänge bzw. welche Zufäl-
ligkeiten bei der Entscheidung für die Grenzöffnung mitspielten – auch die
Möglichkeit einerArtkollektivenSühne fürdienationalsozialistischenVerbre-
chen.DerGründungsnarrativderEuropäischenUnion,der inganzbesonderer
Weiseder zentraleNarrativ (desWestens)derBundesrepublikDeutschland ist
(und inviel geringeremAusmaßeder vonÖsterreich,welchesdiesenNarrativ
allen moralischen Appellen zum Trotz nie richtig internalisiert hat), besteht
darin, dass sich die unsäglichenGräuel desNationalsozialismus niemals wie-
derholendürfen. IndenEreignissenvon2015konnteDeutschlandsichundder
Weltöffentlichkeit vor Augen führen, ein offenes Land zu sein, welches seine
politischen Schwerpunkte nach moralischen Prämissen ausrichtet und sich
dabeibesondersderMenschenwürdeverpflichtetfühlt.DasGedenkenderOpfer
desNationalsozialismusbewirkte gewissermaßenNarrativeder Inklusionund
dieBereitschaftzurErrichtungöffentlicherRäume,indenenauchdieeinenPlatz
einnehmenkönnen,diekeinensonstigenOrtdesLebensmehrvorfanden.
KurtAppel114
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Menschenrechte und Gerechtigkeit als bleibende Aufgaben
Beiträge aus Religion, Theologie, Ethik, Recht und Wirtschaft
- Titel
- Menschenrechte und Gerechtigkeit als bleibende Aufgaben
- Untertitel
- Beiträge aus Religion, Theologie, Ethik, Recht und Wirtschaft
- Autoren
- Irene Klissenbauer
- Franz Gassner
- Petra Steinmair-Pösel
- Herausgeber
- Peter G. Kirchschläger
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1165-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 722
- Kategorie
- Recht und Politik