Seite - 123 - in Musik am Dom zu Salzburg - Repertoire und liturgisch gebundene Praxis zwischen hochbarocker Repräsentation und Mozart-Kult
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5 Aspekte derAufführungspraxis
5.1 Besetzungspraktiken der
SalzburgerHofkapelle im
17. und 18. Jahrhundert
AlsGiovanni Stringa,Domherr zu SanMarco inVe-
nedig, 1604mitVenetia città nobilissima, et singolare
eine korrigierte und erweitere Fassung eines gleich-
namigenReiseführers von Francesco Sansovino aus
demJahr 1571 vorlegte, widmete er diese demFürst-
erzbischof von Salzburg,WolfDietrich vonRaitenau.
DieserWidmung ist nicht nur zu entnehmen, dass
WolfDietrichsUmbauderNeuenResidenz, dieGrün-
dung des Kapuzinerklosters und die Pläne für den
Bau eines neuenDomes bereits imJahr 1604 inVe-
nedig bekanntwaren, sondern eswird auch eine für
die SalzburgerMusikgeschichte höchst interessante
Tatsache berichtet: „Alle betonen Ihre [Wolf Diet-
richs] Großzügigkeit und Freigebigkeit, mit der Sie
alleVirtuosenbedenken,diezuIhnenkommen,wie im
BesonderendieMusikerunsererKapelle vonS.Marco
bezeugen können, die vor nun drei Jahren –wie von
Ihnenangeordnet–vonhier [Venedig]weggereist sind,
umhöchst zufrieden, das Loblied IhrerGroßzügigkeit
singend, zurückzukehren.“1DieMusiker vonS.Marco
in Venedig hatten demnach im Jahr 1601 auf Ein-
ladungFürsterzbischofWolfDietrichs vonRaitenau
Salzburg besucht.Musiziert hatten sie in der damali-
gen Stadtpfarr- und heutigenFranziskanerkirche, da
der alte Dom aufgrund des Brandes im Jahr 1598
schwer beschädigtwar.
1Stringa, 1604,Widmung „[...] se ong’uno esalta la libera-
lità, &munificenza sua, premiando ella largamente tutti
i virtuosi, che a lei concorrono, come ne rendono di ciò
particolar testimonianza iMusici di questa nostraCappella
di S.Marco, che di quì partiti, se ne vennero, già tre anni
sono, di suo ordine sino costà, e ritornarono contentissimi,
celebrando sopramodo la generosità dell’ animo suo.“Über-
setzung: Roswitha Juffinger. Brandhuber, Christoph/
Oliver Ruggenthaler: „Der Perlenfischer –Wolf Diet-
richsReferenz auf bedeutende europäischeKunstzentren“,
in:Roswitha Juffinger (Hrsg.):Zentrum derMacht. Die
Kunstsammlungen der Salzburger Fürsterzbischöfe. Bd. 2:
Gemälde /Graphik /Kunstgewerbe, Salzburg: Residenzga-
lerie 2011, S. 415–447. SanMarco inVenedighatte sichbereits unterAdri-
anWillaert (um1490–1562) zu einemZentrumder
Mehrchörigkeit entwickelt. Nach ihmhattenMusiker
wieCyprianodeRore(1516–1565)undderMusiktheo-
retikerGioseffoZarlino, vor allemaberAndreaGabri-
eli (1510–1586) den Stil weiterentwickelt und verbrei-
tet. Von 1595 bis 1605wirkte in SanMarcoGiovanni
Gabrieli (um1556–1612), dessenWerk allgemein als
„Höhepunkt in der Entwicklung derMehrchörigkeit“2
betrachtetwird.ObGiovanniGabrieli 1601 ebenfalls
in Salzburgwar undwelche „Virtuosen“ derCappel-
la di SanMarco bei dieserGelegenheitmusizierten,
bleibe dahingestellt. 1601 dürfte jedoch der spätest-
denkbareZeitpunkt sein, andemdermehrchörigeStil
in Salzburg Eingang gefunden haben könnte, denn
MusikerwieOrlando di Lasso (1532–1594),Matthi-
as Schwertfürb (d um 1633 in Salzburg)3, Tiburtio
Massaini (vor 1550–1609)4, FabritiusMordente, der
venezianischeOrdensgeistlicheOttavioGiglioundder
aus Treviso stammende Liberale Zanchi (um 1570–
nach 1621), die alle bereits vor 1600 amSalzburger
Hofwirkten oder guteKontakte zu diesempflegten,
lassen eswahrscheinlich erscheinen, dass bereits vor
1601mitmehrchörigenAufstellungen zumindest ex-
perimentiertwurde.5
Mit demBau des neuen Doms nach Plänen von
Santino Solari (1576–1646)wurde demmehrchörigen
Stil jedenfalls bereits Rechnung getragen: Der Bau
hatte vierMusikeremporen in derVierung unter der
Kuppel, von denen zwei – die altarnahen, östlichen
– bereits zumZeitpunkt derWeihe 1628 „zweiwohl-
gezierteOrgeln“6 trugen. Bei den liturgischenFeiern
2Ravizza,Viktor: [Art.:] „Mehrchörigkeit“, in:MGG2,Bd.5,
Sp. 1754.
3Kapellmeister in den Diensten FürsterzbischofWolf Diet-
richs und vormalsKapellknabe unterOrlando di Lasso in
München.
4Wirkte von 1590 bis 1591 alsHofkapellmeister in Salzburg.
5Vgl.Hintermaier: „Es gehe confuse“.
6RelationUnndBeschreibung / wie die Translation der Reli-
quien [...] inn die Newerpawte Thumbkirchen zu Saltzburg
/ dann volgens die Dedication undWeyhung jetztbesagter
Thumbkirchabgangen und verricht worden, Salzburg 1628,
S. 2, zit. nachWalterskirchen,Gerhard: „ZurGeschich-
te der großen Orgel im Salzburger Dom 1300–1984“, in:
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Musik am Dom zu Salzburg
Repertoire und liturgisch gebundene Praxis zwischen hochbarocker Repräsentation und Mozart-Kult
- Titel
- Musik am Dom zu Salzburg
- Untertitel
- Repertoire und liturgisch gebundene Praxis zwischen hochbarocker Repräsentation und Mozart-Kult
- Autoren
- Eva Neumayr
- Lars E. Laubhold
- Ernst Hintermaier
- Verlag
- Hollitzer Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-540-0
- Abmessungen
- 21.0 x 30.2 cm
- Seiten
- 432
- Kategorie
- Kunst und Kultur