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Die theaterhafte Inszenierung höfischer Räume im Dienst der königlichen Evidenz
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thetischen Überwältigung und der Verunklärung kognitiv zu erfassender inhaltlicher
und gestalterischer Systematiken? Die Antwort auf diese Frage ist keineswegs banal,
wenn man sich nicht mit den immer wieder in oberflächlicher Reduzierung verwen-
deten Begriffen wie »Macht« oder »Legitimation« zufriedengeben möchte. »Macht«
und »Legitimation« stehen vielmehr selbst im Dienst einer recht abstrakten Idee fürst-
licher oder königlicher Herrschaft, deren normative Abstraktheit erst eigentlich durch
das immerwährende Schauspiel der bau- und bildkünstlerischen Medien in eine für die
Augen und Ohren sinnfällige, anschaubare Form überführt wird – und hierbei letzten
Endes nichts anderes leistet als das tatsächliche höfische Schauspiel und Musiktheater,
das allerdings ausschließlich temporär agiert.
So weist Jean-Baptiste Colbert, der für Ludwig
XIV. als Surintendant des Bâtiments
du Roi tätig war, anlässlich der Erweiterung des Pariser Louvre ausdrücklich darauf hin,
dass die Gestalt des königlichen Palastes die Menschen von der Stärke königlicher Macht
überzeugen und zu untertänigem Gehorsam anhalten müsse.21 Ganz in diesem Sinne
hatte 1719 der Leipziger Jurist und Stadtschreiber Johann Christian Lünig die Fürsten
wegen ihrer von Gott verliehenen Magnifizenz als »Erdengötter« tituliert, denen zuge-
standen werden müsse, »sich durch allerhand euserliche Marquen vor anderen Menschen
zu distinguieren, um sich […] bey ihren Untertanen in desto grösseren Respect und Ansehen
zu setzen«.22 Zu diesen »euserliche[n] Marquen« als Zeichen der Distanz des Fürsten zu
seinen Untertanen und als Ausweis seiner Erhabenheit über die gewöhnlichen irdischen
Dinge gehören in besonderer Weise die von mir beschriebenen Effekte der Residenzarchi-
tektur und ihrer bildlichen Ausstattung. Räumliche, ästhetische wie kognitive Desorien-
tierung, fragmentiertes Erleben räumlicher wie programmatischer Zusammenhänge und
die Evokation eines überwältigenden Staunens vermitteln am Ende das Empfinden von
»Respekt« und »Ansehen« fürstlicher bzw. königlicher Autorität und Magnifizenz. In
diesem Sinne erkennt auch der hessisch-darmstädtische Jurist, Diplomat und Minister
Friedrich Carl von Moser in seinem Teutschen Hofrecht von 1754 die Notwendigkeit,
die fürstliche Residenz als Sinnbild der hinter dem Fürsten als Person erscheinenden
transpersonalen Idee herrschaftlichen Regententums auszugestalten. Moser formuliert
diesen Gedanken in einer prägnanten Formel: »In der Residenz erscheinet der Fürst als
Haupt seines Volcks und in dem Glanz der angebohrnen oder erlangten Würde.«23 Diese
besondere Aufgabe der Residenzarchitektur und der höfischen Bildkünste, die durch ihre
medialen Qualitäten, d. h. mittels des architektonischen Corpus der Residenz und ihrer
prächtigen Erscheinung, dem von Ernst Kantorowicz erstmals eingehend analysierten
21 »Il est nécessaire … que la qualité de leur palais puisse servir à contenir les peuples dans l’obéissance qu’ils
leur doivent, sans toutefois qu’il soit nécessaire de construire pour cela une forteresse, mais seulement
d’observer que les entrées ne puissent estre facilement abordées et que toute la structure imprime le respect
dans l’esprit des peuples et leur laisse quelque impression de leur force.« (Clément 1867, Nr. 19, S.
240).
22 Lünig 1719, Bd.
1, S.
5. Zum Begriff der Erdengötter siehe auch Berns
/
Druffner
/
Schütte 1997, S.
XII.
23 Moser 1754, S. 274.
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Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
Hof – Oper – Architektur
- Titel
- Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
- Untertitel
- Hof – Oper – Architektur
- Autoren
- Margret Scharrer
- Heiko Laß
- Herausgeber
- Matthias Müller
- Verlag
- Heidelberg University Publishing
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-947732-36-4
- Abmessungen
- 19.3 x 26.0 cm
- Seiten
- 618
- Schlagwörter
- Kunstgeschichte, Architektur, Oper, art history, architecture, opera
- Kategorie
- Kunst und Kultur