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Matthias Müller
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graph André Félibien in seiner 1663 verfassten Beschreibung eines Porträts Ludwigs
des XIV. von Frankreich formuliert: Demnach hätte das Herrscherbildnis kein Indivi-
duum, sondern einen Idealtypus herrschaftlicher Majestät zu zeigen und sei es die Auf-
gabe der Kunst, die an sich nicht sichtbare Aura des Herrschers mit den Mitteln einer
den Bildsinn durchaus rätselhaft verschleiernden Allegorisierung zur Darstellung zu
bringen.28 Bei dem Porträt
– einem Reiterbildnis
– des französischen Königs handelte es
sich aller Wahrscheinlichkeit um ein Gemälde von Charles Le Brun, das heute allerdings
nicht mehr existiert, sondern nur noch in einer Kopie von Pierre Mignard von ca.
1692
(Abb. 14) überliefert ist.29 Diesem Reiterbildnis möchte ich zur Veranschaulichung das
wohl berühmteste Bildnis Ludwigs XIV. zur Seite stellen, jenes von Hyacinthe Rigaud
1701 geschaffene Ganzfigurenporträt (Abb. 15), mit dem Rigaud die Gattung des »Por-
trait historie« begründete, d. h. des allegorisch aufgeladenen und Elemente des Histo-
rienbildes adaptierenden Herrscherbildes.30 Beide Porträts offenbaren die von Félibien
beschriebene Herausforderung für die Künstler, nämlich die Bewältigung des Parado-
xons einer Darstellung von etwas Nichtdarstellbarem. Konkret bedeutet dies für den
Maler oder Bildhauer, den überindividuellen majestätischen Glanz, der letztlich einen
Spiegel der göttlichen Allgewalt bildet, in der Abbildung eines individuellen, sterbli-
chen Körpers darzustellen. Félibien verwendet für diesen Vorgang immer wieder das
Verb »représenter«, dessen Semantik im Französischen weiter gefasst ist als im Deut-
schen und zwischen »darstellen« und »verkörpern« changiert, verbunden mit allen
Implikationen juristisch-politischer wie logisch-erkenntnistheoretischer Fragestellun-
gen.31 Deutlich wird aber durch Félibiens Text das Grundproblem der angemessenen
Deutung der Identität des Fürsten oder Herrschers: Dieser ist zwar als Individuum mit
physischem Körper vorhanden, zugleich und eigentlich aber als etwas Anderes, über
die individuelle, körperhafte Erscheinung hinausweisendes Transzendentes zu denken,
dem der individuelle Körper des Herrschers lediglich einen sinnlich wahrnehmbaren
Ausdruck verleiht. In der Realität des Zeremoniells bedarf dieser Körper daher der Aus-
staffierung mit zeichenhafter, die Augen beeindruckender Kleidung und Insignien, um
die transpersonale, transzendente Dimension, d.
h. das dem König anhaftende ›Andere‹
zu veranschaulichen, während im Herrscherporträt zusätzlich die Hinzufügung von al-
legorischen Darstellungen – nicht zuletzt in Form von Tugendpersonifikationen – die
Evidenz zu erzeugen hat.
28 Félibien 1671.
29 Siehe hierzu Berger 2009. Siehe auch Kirchner 2001.
30 Zu diesem Staatsporträt siehe die grundlegende Dissertation von Ahrens 1990. Siehe darüber hinaus
auch die philosophisch-semiotische Studie von Louis Marin (Marin 2005), die allerdings – ungeachtet
des ausgesprochen anregenden und das Medium des Bildes mit Vehemenz als historischen ›Akteur‹
und damit auch als ›Quelle‹ für den geschichtswissenschaftlichen Diskurs einfordernden Ansatzes
– in
ihren historischen Prämissen nicht restlos zu überzeugen vermag.
31 Siehe hierzu Baader 1999, S. 360.
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Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
Hof – Oper – Architektur
- Titel
- Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
- Untertitel
- Hof – Oper – Architektur
- Autoren
- Margret Scharrer
- Heiko Laß
- Herausgeber
- Matthias Müller
- Verlag
- Heidelberg University Publishing
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-947732-36-4
- Abmessungen
- 19.3 x 26.0 cm
- Seiten
- 618
- Schlagwörter
- Kunstgeschichte, Architektur, Oper, art history, architecture, opera
- Kategorie
- Kunst und Kultur