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Theater als Medium höfischer Kommunikation
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Die Odysseus-Erzählung Homers war schon in der Antike mehrfach dramatisiert
worden. Im 16.
und 17.
Jahrhundert gehörte sie zu den am meisten gestalteten antiken
Sagenstoffen.15 Der ersten Opernfassung des Odyssee-Stoffes Il ritorno d’Ulisse in patria
von Giacomo Bodoaro und Claudio Monteverdi im Jahre 1640 waren bis 1690 fünf wei-
tere Odysseus-Penelope-Opern gefolgt, alle in italienischer Sprache.16 Keil griff für seine
Übersetzung auf das in Wien gedruckte Libretto Penelope von Nicolò Minato zurück,
das dieser anlässlich des Geburtstages der Kaiserinwitwe Eleonora geschaffen hatte.
Mit der Musik von Antonio Draghi war die Oper am 10. November 1670 am Kaiserhof
aufgeführt worden.17
Wie der Gothaer Pagenhofmeister zu dem italienischsprachigen Textbuch aus Wien
gekommen war, ist unbekannt. Doch erwähnt er in der Vorrede zu seiner Übersetzung,
dass er durch des Herzogs Interesse an seinen Arbeiten ermutigt worden sei, damit fort-
zufahren und er beruft sich auf »Ew. Hoch-Fürstl. Durchl. selbst ertheilten gnädigsten
Befehl« sich »in diesem Stücke fernerweit zu versuchen«.18 Dem Herzog wird die Wahl
eines Librettos vom Kaiserhof mehr als recht gewesen sein, bot das dem an seinem Hof
bisher gepflegten Musiktheater doch die Chance auf den Anschluss an das Operntheater
der großen Höfe. Zumindest aber spricht es für den Anspruch, diesen Anschluss mit den in
Gotha zur Verfügung stehenden materiellen und personellen Möglichkeiten zu realisieren.
Das Stück ist also keine originäre Gothaer Schöpfung. Von einer »Wiederauffüh-
rung« der 20 Jahre zuvor in Wien produzierten Oper in Gotha zu sprechen, verbietet
sich allerdings.19 Dagegen sprechen die Transformationsprozesse auf mehreren Ebenen,
die das Stück zu durchlaufen hatte, um zu einem Theaterereignis in einem ganz anderen
Rahmen zu werden.
Eine grundlegende Transformation erfährt das Libretto bei der Übertragung aus der
italienischen in die deutsche Sprache. Der Übertragungsprozess als komplexer Vorgang
bain des Dieux genannten Stückes von einem Charles Aubertin de Rolingen gefertigt wurden, sowie
eine allerdings nur fragmentarische Übersetzung ins Deutsche. Böhme vermutet, dass diese Oper be-
reits für das Jahr der ersten Gothaer Hofoper, also 1683, bestimmt gewesen war. Vgl. Böhme 1931,
S.
103. Dieser Versuch war offensichtlich gescheitert.
15 Es gab zahlreiche neulateinische, doch auch volkssprachliche Dramatisierungen in deutscher, italieni-
scher, französischer und niederländischer Sprache, im 18. Jahrhundert dann auch in englischer, däni-
scher und schwedischer Sprache. Vgl. Stenmans 2013.
16 Pisa 1669, Wien 1670, Mantua 1674, Venedig 1685, Augsburg 1689. Vgl. Stenmans 2013, S. 461 – 465.
17 Vgl. Stenmans 2013, S. 462 – 463.
18 Diese Formulierung lässt sich zwar nicht eindeutig auf die Arbeit am Penelope-Stück beziehen, doch
wird man davon ausgehen dürfen, dass sich der herzogliche Befehl nicht nur allgemein auf Keils Wir-
ken als Textdichter für den Hof bezogen haben wird, sondern gerade auch auf die Übersetzung des
Minato’schen Textbuches, eine Arbeit, in die Keil den Herzog wohl eingeweiht haben dürfte.
19 Die sehr verdienstvolle Arbeit von Anna Stenmans analysiert nur die Minato / Draghi-Oper, nicht das
Gothaer Singspiel und führt Letzteres im Katalogteil auch nicht unter einer gesonderten Nummer auf,
sondern unter »Weitere Aufführungen« der Minato / Draghi-Oper. Auf S. 346 heißt es bei ihr: »Eine
zweite Aufführung, diesmal in deutscher Sprache, erfuhr die Oper
[…] in Gotha.« Vgl. Stenmans 2013,
S.
345 – 37, 463.
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Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
Hof – Oper – Architektur
- Titel
- Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
- Untertitel
- Hof – Oper – Architektur
- Autoren
- Margret Scharrer
- Heiko Laß
- Herausgeber
- Matthias Müller
- Verlag
- Heidelberg University Publishing
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-947732-36-4
- Abmessungen
- 19.3 x 26.0 cm
- Seiten
- 618
- Schlagwörter
- Kunstgeschichte, Architektur, Oper, art history, architecture, opera
- Kategorie
- Kunst und Kultur