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Theater als Medium höfischer Kommunikation
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eine bestimmte Person gerichtetes Begehren.33 Im Zentrum stehen die ineinander ver-
schränkten Liebesbeziehungen zweier Paare, die durch verhängnisvolle Leidenschaften
gestört sind, welche aber letztlich unter Kontrolle gebracht werden, so dass die ›richti-
gen‹ Partner am Ende wieder zueinander finden: Ulysses und Penelope einerseits und
Acrisio und Orisbe andererseits. Gegenüber diesen Liebesverwirrungen ist der Kampf
des heimgekehrten Ulysses um seinen Besitz, seine Herrschaft und seine Gemahlin
gegen die übermächtigen Feinde auf eine Schwundstufe minimiert. Statt der hundert
Freier bei Homer sind es im Singspiel ganze vier, von denen der eine, Acrisio, durch das
entschlossene und listenreiche Handeln seiner Braut Orisbe zur Erkenntnis seines Feh-
lers gelangt und reumütig zu eben jener zurückkehrt. Beim zweiten der Freier, Olmiro,
handelt es sich gar nicht um einen solchen, sondern um die verkleidete Orisbe. Bleiben
nur Ismero und Elisio. Beide sind in Liebe zu Penelope entbrannt, geben ihren Anspruch
aber sofort auf, als Ulysses sich zu erkennen gibt. Reumütig stellen sie sich als Opfer der
Liebe dar, von der sie auch nur übermannt worden seien, weil sie Ulysses tot wähnten:
»Die Liebe gab uns diesen Fehler ein;
Weil wir Ihn glaubten tod zuseyn.« (III/12)
Die mit Ulysses‹ Rückkehr veränderte Lage bewirkt bei ihnen die spontane Befreiung
von ihrem Liebeswahn; weitere Besitz- und Herrschaftsansprüche hatten sie ohnehin
nicht. Folglich gibt es für Ulysses gar keine Veranlassung gegen sie zu kämpfen oder sie
gar zu töten, er verzeiht ihnen vielmehr. Auch auf diesem Nebenschauplatz des Gebarens
der Freier geht es ausschließlich um »Liebe«, nicht um sonstige Machtansprüche, nicht
einmal das verschwenderische Treiben der Freier wird thematisiert. Ismero und Elisio
erscheinen als von ihrer Passion in Bann Geschlagene, von der sie indes von einem Mo-
ment zum anderen abzulassen imstande sind. Das ist eine der vielen Stellen, an denen
deutlich wird, dass es hier nicht um Nachahmung tiefer Emotionen geht, sondern um
das Zitieren eines Codes.
Interessanter ist das in Gestalt der Verwicklungen der beiden Paare manifestierte Lie-
besthema. Die beiden Liebeshandlungen dienen nicht zuletzt dazu, Elemente des Codes
des amour passion durchzuspielen. In beiden Fällen werden die Irritationen zwischen
den Liebenden durch das Fehlverhalten der männlichen Partner bewirkt. Von beiden
hat die Passion Besitz ergriffen, doch auf unterschiedliche Weise. Ulysses misstraut
Penelope und wird von Eifersucht gequält; Acrisio verlässt seine Geliebte Orisbe und
reiht sich in die Schar der Freier um Penelope ein, allein weil er von deren Schönheit
gehört hat. Beide steigern sich in ihre Wahnvorstellungen hinein, Acrisio, als er ein
Bildnis von Penelope in die Hände bekommt, Ulysses, als er die Gemahlin heimlich be-
obachtet und das Gesehene falsch deutet. Beide sind Gefangene ihrer Leidenschaft zu
33 Ausgenommen sind hier lediglich Penelopes Vater Icario und der Diener Lippone.
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Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
Hof – Oper – Architektur
- Titel
- Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
- Untertitel
- Hof – Oper – Architektur
- Autoren
- Margret Scharrer
- Heiko Laß
- Herausgeber
- Matthias Müller
- Verlag
- Heidelberg University Publishing
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-947732-36-4
- Abmessungen
- 19.3 x 26.0 cm
- Seiten
- 618
- Schlagwörter
- Kunstgeschichte, Architektur, Oper, art history, architecture, opera
- Kategorie
- Kunst und Kultur