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Roswitha Jacobsen
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Penelope: der eine in blinder (und grundloser) Eifersucht, der andere in aussichtsloser
Liebesbegier, für die er seine eigentliche, die ›richtige‹ Geliebte im Stich gelassen hat.
Weder Penelope noch Orisbe akzeptieren jedoch das Verhalten ihres jeweiligen Ehe-
gemahls bzw. Geliebten. Statt sich in ihr Schicksal zu ergeben, setzen sie dem Handeln
ihrer Männer ihr eigenes Handeln entgegen und gewinnen sie damit nicht nur zurück,
sondern belehren sie (und das Publikum) zugleich über die fatalen Folgen ungezügelter
Leidenschaft.
Die Spielhandlung schöpft ihre Spannung und ihre Unterhaltsamkeit, also ihre äs-
thetische Attraktivität, zu einem erheblichen Teil daraus, dass beide Frauen die traditio-
nellen weiblichen Rollenmodelle überschreiten und sich gegen die Zumutungen ihrer
Liebhaber zur Wehr setzen. Allerdings ist ihr Aufbegehren streng begrenzt auf das Feld
der Liebe. Ausschließlich hier werden sie zu selbstständigen Agentinnen ihrer eigenen
(Liebes-)Interessen, die sie ebenso couragiert wie raffiniert verfolgen. Nicht nur, aber
besonders am Handeln der weiblichen Hauptfiguren zeigt sich, inwiefern die fiktionale
Gattung des Singspiels
/ der Oper als Medium von Subjektivierungstendenzen in der
Frühen Neuzeit fungiert.
Da das Paar Acrisio / Orisbe kein Vorbild in der Sage hat, ist der Autor dieser Ver-
sion durch stoffliche Vorgaben nicht eingeschränkt. Er nutzt die Freiheit zur Erfindung
höchst unwahrscheinlicher Aktionen der verlassenen Orisbe, welche sich keineswegs
in geduldigem Ausharren oder gar in Verzicht übt. Im Gegenteil, als Mann verkleidet,
reist sie Acrisio nach und setzt zunächst mit Hilfe von Penelope, dann allein an dunkler
Grabstätte in Gang, was nötig ist, um den Abtrünnigen zurückzugewinnen.
Doch auch an dem Paar Ulysses und Penelope tritt der Kontrast zum Prätext deut-
lich hervor. Schon dass sich Penelope im Unterschied zur antiken Penelopeia gekränkt
fühlt durch das Misstrauen ihres Gemahls und das auch noch äußern darf, deutet auf
ihren ganz anderen Subjekt-Status hin. Dass sie aber vermittels ihrer Gegenhandlung
ihren Gemahl geradezu vorführt als verkehrt, nämlich misstrauisch und eifersuchts-
blind Liebenden, macht sie auf dem Feld der Liebe zur ganz ebenbürtig Agierenden.
Da sie aber im Gegensatz zu Ulysses ihre Affekte souverän beherrscht, kann sie ihre
Gegenintrige überlegen ins Werk setzen. Statt besänftigend auf den längst als Odys-
seus Erkannten einzuwirken, geht sie auf seine Maskerade ein, behandelt ihn als den
Bettler, der er zu sein vorgibt und spielt ihm genau das vor, was er ihr unterstellt: ihre
Untreue. Sie gibt vor, endlich einen der Freier als neuen Gatten erwählt zu haben, und
zwar Olmiro. Damit treibt sie Odysseus in seiner Eifersucht bis zum Exzess und lenkt
selbst dann nicht ein, als er sie erst zu erdolchen (III/1) und dann zu vergiften (III/13)
versucht. Während er blindwütig agiert, kontrolliert sie das Geschehen. Ihr falsches Spiel
bringt die zerstörerische Wucht seiner unkontrollierten Leidenschaft erst zum Vorschein
und erweist sie gerade damit als unangemessen. Zugleich wird durch Penelopes Spiel
auch das Komische des rasend Eifersüchtigen zur Darstellung gebracht, was hier vor
allem deshalb gelingt, weil am Schluss das Paar sich gattungstypisch versöhnt. Explizit
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Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
Hof – Oper – Architektur
- Titel
- Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
- Untertitel
- Hof – Oper – Architektur
- Autoren
- Margret Scharrer
- Heiko Laß
- Herausgeber
- Matthias Müller
- Verlag
- Heidelberg University Publishing
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-947732-36-4
- Abmessungen
- 19.3 x 26.0 cm
- Seiten
- 618
- Schlagwörter
- Kunstgeschichte, Architektur, Oper, art history, architecture, opera
- Kategorie
- Kunst und Kultur