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Theater als Medium höfischer Kommunikation
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Ulysses und Penelope, doch auch die niederen Figuren der Zwischenspiele, sind Be-
obachter und Kommentatoren der Fehlleistungen Lippones. Seine Geldgier, moralische
Indifferenz, kognitive Begrenztheit, die sich in häufigem Missverstehen äußert, und vor
allem seine Ignoranz von Benehmensstandards stellen durchweg extreme Abweichun-
gen vom Verhaltenscode der höfischen Gesellschaft dar. Dieser Code erfährt, indem er
von der komischen Figur drastisch unterlaufen wird, einerseits Bestätigung in seiner
Normhaftigkeit für das höfische Umfeld, andererseits wird er durch die Konfrontation
mit seiner antithetischen Verneinung überhaupt erst bewusstgemacht. Das Komische
dient insofern nicht allein der Unterhaltung der höfischen Gesellschaft, welche das Un-
angemessene der niederen Verhaltensweisen distanziert betrachten und verlachen kann,
sondern auch der Selbstreflexion des eigenen Habitus.
Zahlreiche Spiel-im-Spiel-Konstellationen in allen drei Akten sowie in den beiden
Zwischenspielen, ein für Verkennung sorgendes Requisit als Intrigengenerator, eine
sowohl in die Haupthandlung eingelegte als auch die Interludien prägende komische
Nebenhandlung, schließlich die durch das panegyrische Nachspiel in das theatrali-
sche Geschehen einbezogene Zuschauerebene – das Penelope-Singspiel ist regelrecht
überdeterminiert durch metatheatrale Strukturelemente. Sie haben das Potenzial, die
Theatralität des Vorgeführten selbst zu reflektieren und dem Publikum zu ermöglichen,
des fließenden Übergangs von Realität, Illusion und Fiktion auf der Ebene des Bühnen-
geschehens, vermittelt darüber aber auch auf der erweiterten Ebene des ›Welttheaters‹
gewahr zu werden. Denkbar weit entfernt von naiver Nachahmung einer ›Wirklichkeit‹
nach dem Kriterium der Wahrscheinlichkeit entfaltet dieses Theater mit der Potenzierung
seiner selbstreflexiven Ebenen eine exorbitante Virtuosität. Indem es das Theatralische
nahezu aller Figurenaktionen ostentativ ausstellt, verweist es auf die theatralische Ver-
fasstheit der Welt und reproduziert damit den frühneuzeitlichen theatrum-mundi-Topos.
Zugleich erzeugt die Mehrzahl der Handlungsstränge, ihre nicht selten unübersicht-
liche Verwobenheit ineinander, die Vervielfachung der Spiel- und Beobachtungsebe-
nen, kurz: das auf allen Ebenen des plurimedialen Ereignisses geradezu überbordende
Bühnengeschehen einen Eindruck von Opulenz, der mit den auf Überwältigung des
Betrachters zielenden Strategien des höfischen Erscheinens konvergiert.
Resümee
Die Aufführung des Penelope-Singspiels in Gotha ist aus dem Programm fürstlicher Herr-
schaftsrepräsentation nicht herauslösbar, das sie auf drei verschiedenen Ebenen bedient.
Erstens auf der Ebene der institutionellen Rahmung als Teil eines höfischen Festes, das
der Feier des Fürsten gewidmet ist; zweitens auf der Ebene der die maiestas des Fürsten
explizit versprachlichenden paratextuellen Rahmungen der eigentlichen Spielhandlung;
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Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
Hof – Oper – Architektur
- Titel
- Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
- Untertitel
- Hof – Oper – Architektur
- Autoren
- Margret Scharrer
- Heiko Laß
- Herausgeber
- Matthias Müller
- Verlag
- Heidelberg University Publishing
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-947732-36-4
- Abmessungen
- 19.3 x 26.0 cm
- Seiten
- 618
- Schlagwörter
- Kunstgeschichte, Architektur, Oper, art history, architecture, opera
- Kategorie
- Kunst und Kultur