Seite - 117 - in Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa - Hof – Oper – Architektur
Bild der Seite - 117 -
Text der Seite - 117 -
117
PATHOS DER DISTANZ – DIE ETABLIERUNG DER
ZENTRALEN HOFLOGE IM THEATERBAU (1600–1750)
ZWISCHEN DISTINKTION UND ENTRÜCKUNG
Hans Lange
Erst seit dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Sturz vieler Monarchien reguliert al-
lein der Preis im vorgeblich egalitären Publikum theatralischer Veranstaltungen soziale
Exklusivität auf den sogenannten »besseren« Plätzen, die immer noch im vorderen Par-
terre oder in der Mitte des ersten Rangs zu finden sind. Jahrhundertelang waren diese
Orte in einer ständisch regulierten Raumordnung allein der Obrigkeit, dem Souverän
und bzw. von ihm legitimierten Stellvertretern vorbehalten und erst ephemer, später
architektonisch markiert.1
Ein wesentliches Strukturmerkmal des europäischen Theaterbaus, besonders der
ganz überwiegend höfisch geprägten Opernhäuser im 17. und 18. Jahrhundert, ist der
Ehrensitz des Monarchen und dessen zunehmende Inszenierung und zuletzt Ausgren-
zung aus dem übrigen Zuschauerraum in der zentralen Hofloge auf der Saalachse über
dem Parterre. Es waren in erster Linie italienische und deutsche Fürstenhöfe, welche
aus zunächst spontan organisierten Saalformen für meist anlassgebundene Turnier-
bzw. Festopern den bis ins 20.
Jahrhundert kanonisch gültigen Raumtypus aus Rängen
und Logen herausdestillierten. Seine Genese und Entfaltung bis in den Horizont der
Aufklärung, die diese Praxis allmählich infrage zu stellen begann, spiegelt den evolutio-
nären Prozess der räumlichen Trennung zwischen einem vom fürstlichen Auftraggeber
bestellten theatralischen Ereignis und ihm selbst als dessen erstem Adressaten, um den
das höfische Publikum in immer strikterer Ordnung herum organisiert wurde. Entspre-
chend den Anfängen einer örtlich mobilen Festpraxis im städtischen Freiraum, wurden
zunächst leicht auf- und abschlagbare Sitzgelegenheiten für die Serenissimi gegenüber
der Bühne benötigt, die sich in solchem Rahmen als Akteure zum Teil selbst bewegten,
zum Teil als Zuschauer einer Aktion passiv verharrten, stets jedoch ihre dignitas, ihr
Amt und ihre politischen Funktionen vor Augen stellten. Juristisch und formal waren
solche Ehrensitze, die meist auf ein Podium, italienisch palco, aufgesockelt wurden,
keine Throne. Der Terminus unterscheidet sie gerade nicht von der Szene, definiert
sie als eine zweite Bühne; im Italienischen bedeutet palco bis heute sowohl die Loge
wie den Bühnenboden. Zum Thron fehlte ihnen das spezifische Element, das mit dem
französischen dais
– ursprünglich: Podium bzw. Estrade
– im höfischen Milieu seit dem
1 Verf. dankt dem Kunsthistorischen Institut Florenz für ein wiss. Stipendium (1979–1983), das die Vor-
bereitung des Beitrags ermöglicht hat.
Veröffentlicht in: Margret Scharrer, Heiko Laß, Matthias Müller: Musiktheater im höfischen
Raum des frühneuzeitlichen Europa. Heidelberg: Heidelberg University Publishing, 2019.
DOI: https://doi.org/10.17885/heiup.469
zurück zum
Buch Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa - Hof – Oper – Architektur"
Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
Hof – Oper – Architektur
- Titel
- Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
- Untertitel
- Hof – Oper – Architektur
- Autoren
- Margret Scharrer
- Heiko Laß
- Herausgeber
- Matthias Müller
- Verlag
- Heidelberg University Publishing
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-947732-36-4
- Abmessungen
- 19.3 x 26.0 cm
- Seiten
- 618
- Schlagwörter
- Kunstgeschichte, Architektur, Oper, art history, architecture, opera
- Kategorie
- Kunst und Kultur