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Pathos der Distanz – die Etablierung der zentralen Hofloge im Theaterbau (1600–1750)
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prince was at once the ideal spectator and and a subject of attention for others.12 Damit
sind Voraussetzungen definiert, dass das Hoftheater des Absolutismus zum metaphori-
schen Ort der Fürstenherrschaft werden konnte.
Mit Gian Battista Aleottis Teatro Farnese in Parma, das wie kein anderes als instrumen-
tum regni einen absolutistischen Gewaltakt nachträglich propagandistisch legitimieren
sollte, trat dieses Modell ins Licht der Öffentlichkeit europäischer Höfe. Herzog Ranuc-
cio I. hatte sich 1612 einer oppositionellen Adelsgruppe durch die brutale Hinrichtung
ihrer Anführer auf der Piazza Grande in Parma entledigt und war dadurch außenpoli-
tisch in Quarantäne geraten, die die erwünschte Verbindung des Erbprinzen Odoardo
mit einer Mediciprinzessin jahrelang verzögerte.13 Erst zehn Jahre nach Fertigstellung
des spektakulären Theatersaals im Palazzo della Pilotta, 1628, erfuhr hier die kompro-
mittierte Dynastie dank einer opulent kalkulierten und mit avancierter Bühnentechnik
brillant inszenierten Festfolge ihre glänzende Rehabilitation vor den Repräsentanten aus-
wärtiger Höfe und des unterworfenen Adels. Das Teatro Farnese mit den enormen Aus-
maßen von 87
×
32 Metern und 22 Metern Höhe systematisierte Positionen des Uffizien-
saals und des benachbarten Gonzaga-Theaters in Sabbioneta und kompilierte darüber
hinaus die Tradition des emilianischen Turniertheaters im Freien mit den in geschlos-
sene Säle transponierten Arenaformen antiken Ursprungs.14 Die an Sitzstufen mehr als
verdoppelte, jetzt U-förmige Anlage der gradines wurde an ihrer prominentesten Stelle,
in der Kurve, durch stärkere Integration des Fürstensitzes über dem Eingang in eine
geschlossene Arenaform vereinheitlicht.15 Der durch Balustraden abgeschrankte verone
bzw. poggetto de‹ Serenissimi Principi, eingebettet in die steil ansteigenden Sitzreihen und
in Aleottis einzig erhaltenem eigenhändigen Querschnitt überliefert (Abb.
2), versicherte
sich eines mächtig rahmenden Volumens, das den Ausmaßen des monumentalen Büh-
nenprospektes gegenzusteuern vermochte. Marco Buttigli nennt ihn im Festbericht aus-
drücklich als secondo proscenio.16 Tatsächlich agierte der Herzog im Verlauf der Turnier-
oper Mercurio e Marte abwechselnd während des Turniers im Parterre als mantenitore
oder wurde auf seinem Podium »sotto dʼun baldacchino di broccato dʼargento bianco«
adressiert. Rangdifferenzen wurden durch Rollenzuteilung im Spiel, unter den Zuschau-
ern durch Nähe oder Ferne zum fürstlichen poggetto ausgedrückt.17 In keinem Hoftheater
zuvor oder danach war der zum Hofdienst gezwungene Adel so wehrlos dem Diktat sei-
12 Forster 1977, S. 74, 78.
13 Cadoppi 2012; Ciancarelli 1987, S. 21–23; Dall’Acqua 1992, S. 30–35; Lange 2003, S. 53–54; Hass
2005, S. 280–281.
14 Cavicchi 1986; Mamczarz 1988, S. 45–76; Scherf 1998, S. 187–196; siehe auch den Beitrag von Paolo
Sanvito in diesem Band, S. 199.
15 Dall’Acqua 1992, S. 60–127 und 1994; Adorni 2003.
16 Buttigli 1628, S. 268; Dall’Acqua 1986, S. 33; 1992, S. 116–117. u. 1994, S. 204–205 nennt ihn »ante-
nato« bzw. »anticipo del palco reale«.
17 Zur Sitzordnung: Cianciarelli 1987, S. 65–66 Anm. 42.
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Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
Hof – Oper – Architektur
- Titel
- Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
- Untertitel
- Hof – Oper – Architektur
- Autoren
- Margret Scharrer
- Heiko Laß
- Herausgeber
- Matthias Müller
- Verlag
- Heidelberg University Publishing
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-947732-36-4
- Abmessungen
- 19.3 x 26.0 cm
- Seiten
- 618
- Schlagwörter
- Kunstgeschichte, Architektur, Oper, art history, architecture, opera
- Kategorie
- Kunst und Kultur