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Reinmar Emans
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Oper angestrebt wurde, wie Smart im Weiteren vermutet, sei dahingestellt. Mit Sicher-
heit jedenfalls hat die Bevorzugung dieser eindimensionalen Stoffe auch mit den (redu-
zierten) Möglichkeiten der dort vorhandenen Bühne zu tun.
Ein ähnlich glückliches Händchen wie bei der Besetzung von Intendant, Textdich-
ter und Bühnenausstatter scheint Herzog Anton Ulrich bei der Besetzung der Musiker
nicht gehabt zu haben. Zwar gaben sich auch hier namhafte Komponisten die Klinke in
die Hand. Die meisten Kapellmeister aber
– darunter Johann Theile, Johann Sigismund
Cousser, Clemente Monari und vielleicht auch Reinhard Keiser – konnte der Herzog
nur kurze Zeit an seinem Hof halten.
Bei Keiser ist nicht einmal sicher, ob er dieses Amt überhaupt bekleidete. Laut Søren
Sørensen war nämlich Christian Ludwig Boxberg von 1694 bis 1697 Kapellmeister in
Wolfenbüttel.29 Tatsächlich lässt sich dank einer bislang unbekannten Opernabrech-
nung im Februar 1695 die Aufführung einer Oper von Boxberg nachweisen (vgl. An-
hang II); ob sich daraus folgern lässt, dass er wirklich die Kapellmeisterfunktion in-
nehatte, bleibt fraglich. Letzteres würde freilich bedeuten, dass Keiser durchgehend
als Kammerkomponist angestellt war und nicht zum Kapellmeister befördert wurde,30
wofür auch ein Dokument vom Juni 1695 sprechen würde, in dem Keiser sich noch als
»Cammer Componist« bezeichnete.31
Vermutlich 1685 oder 1686 hatte der Herzog allerdings einen Coup gelandet, als
er Paul Kellner als Sänger einstellte. Schließlich waren dessen Töchter Antoinette,
Elisabeth, Johanna und Paulina ebenfalls als Sängerinnen einsetzbar, und auch der Sohn
Jonathan Paul verdiente seinen Lebensunterhalt als Bassist: Bei seiner am 7. Juli 1703
erfolgten Bestallung32 als Hofkantor konnte er immerhin auf eine 18-jährige Dienstzeit
am Hof verweisen. Damit stand dem Hof fast auf einen Schlag – auch wenn die drei
erstgenannten Töchter 1686 noch mutmaßlich zu jung waren und erst ab 1688 bei den
Opernaufführungen auftraten – ein halbes Dutzend guter Sänger zur Verfügung.33 Ob
in dieser Zeit noch weitere deutsche Sänger festbesoldet waren, entzieht sich mit einer
Ausnahme (siehe unten) unserer Kenntnis. Selbst bei Georg Österreich, der von 1686 bis
1689 in Wolfenbüttel lebte und bei den Opern dieser Jahre mitsang, wissen wir nicht, ob
29 Siehe MGG, Supplement A–D, Sp. 1025–1026. Derselbe Artikel fand mit einer bibliographischen Aktu-
alisierung durch Stefan Keym auch Eingang in die MGG2, siehe Sørensen 2000.
30 Nach der später noch zu besprechenden und im Anhang mitgeteilten Opernabrechnung zu urteilen,
kam Boxberg, als seine Oper im Februar 1695 aufgeführt wurde, angereist. Das lässt daran zweifeln,
dass die Angabe in die MGG, er sei ab 1694 Kapellmeister in Wolfenbüttel gewesen, korrekt ist.
31 NLA WO, Sig. 4 Alt 19, Nr.
3672, ohne Foliierung. In einer weiteren Abrechnung für Keiser vom 13.
Sep-
tember 1695 (in der gleichen Mappe) bezeichnet auch Friedrich Christian Bressand ihn nicht als Kapell-
meister, sondern als »Componist«.
32 NLA WO, Sig 1 Alt 25 Nr. 303, fol.
10–12.
33 Siehe zu den Sängern in der fraglichen Zeit Emans 2016a, S.
30–32. Vermutlich handelt es sich bei dem
Notenkopisten Friedrich Kellner, der 1695 namentlich erwähnt wird, ebenfalls um einen Sohn von Paul
Kellner.
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Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
Hof – Oper – Architektur
- Titel
- Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
- Untertitel
- Hof – Oper – Architektur
- Autoren
- Margret Scharrer
- Heiko Laß
- Herausgeber
- Matthias Müller
- Verlag
- Heidelberg University Publishing
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-947732-36-4
- Abmessungen
- 19.3 x 26.0 cm
- Seiten
- 618
- Schlagwörter
- Kunstgeschichte, Architektur, Oper, art history, architecture, opera
- Kategorie
- Kunst und Kultur