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Umkämpfte Inselreiche – Teichtheateraufführungen in Versailles und Wien zwischen 1664 und 1716
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Programmpunkte von Les plaisirs de l’isle enchantée sind so gewählt, dass sie die ge-
nannte, über das Bassin hinausweisende Achse in Szene setzen.
Den Festberichten zu Les plaisirs de l’isle enchantée ist zu entnehmen, dass der mit
Konzeption und Organisation der Festlichkeiten betraute erste Kammerherr, François
de Beauvilliers, Duc de Saint-Aignan, das Thema des »Palais enchanté d’Alcine« aus
Lodovico Ariosts Orlando Furioso gewählt habe, das für den Titel der Festlichkeiten
bestimmend war.20 Der tapfere Roger und weitere Ritter seien Ariost zufolge von der
schönen und klugen Zauberin Alcine in den Wonnen festgehalten worden. Nachdem
die Zauberin mitsamt den Rittern auf ihrer schwimmenden Insel auch in Frankreich an-
gekommen sei, habe die Zauberin aus Respekt und Bewunderung für die Königin ver-
anlasst, dass die Ritter alles Erdenkliche unternehmen sollten, um dieser zu gefallen.21
Auf die Initiative der Zauberin wird am Abend des ersten Festtages unterhalb des
Parterres am Kreuzungspunkt der Hauptachse mit einer Querallee, ca. 500 bis 600
Schritte vom Schloss entfernt, ein feierlicher Einzug gehalten.22 Ludwig XIV. beteiligt
sich an diesem in der Rolle des Roger, während der von dem Schauspieler La Grange
verkörperte Apollon die Wiederkehr des goldenen Zeitalters ankündigt und ein fran-
zösisches Weltimperium prophezeit. Indem er außerdem auf die eheliche Verbindung
des Königs mit Maria Teresa und die damit einhergehende Liaison Frankreichs mit
Spanien anspielt, wird hier zudem ein Anspruch auf spanische Territorien hörbar.23
Gefolgt wurde der Eintritt von einem Ringelstechen und einem Festbankett. Am zwei-
ten Abend wird in derselben Allee, etwa 100 Schritte unterhalb des vorhergehenden
Spielortes, Molières und Jean-Baptiste Lullys La Princesse d’Élide auf einem théatre de
verdure aufgeführt.24
Die Bewegung der Festgesellschaft auf der vom königlichen Palast auf das Bassin
des cygnes ausgerichteten Achse, auf der der Zauberpalast Alcines errichtet war, wird
in den Festberichten wiederholt hervorgehoben: »Plus on s’avançoit vers le grand Ron-
deau qui representoit le Lac, sur lequel estoit autresfois basty le Palais d’Alcine: Plus on
s’approchoit de la fin des divertissemens de l’Isle Enchantée«.25
Auf der Mitte des Teiches, auf dem gegen 22 Uhr das Ballett stattfinden sollte, wie
der Chronist Jacques Carpentier de Marigny berichtet, erblickte die Festgesellschaft eine
von dem machiniste de Roy Carlo Vigarani errichtete Insel mit dem Palast der Alcine.26
Diese größere Insel wird von zwei kleineren Inseln flankiert, auf denen die Musiker
20 Vgl. auch Marigny 1664, S. 10–11. Marigny verweist wiederholt auf den Spieltext von Les plaisirs de
l’isle enchantée, den er in seinem Bericht jedoch nicht wiedergibt.
21 Vgl. Despois / Mesnard 1878, S. 235.
22 Vgl. Marigny 1664, S. 11.
23 Vgl. Quaeitzsch 2010, S. 21.
24 Vgl. Marigny 1664, S. 33.
25 Lully 2013, S.
96. – Vgl. auch Marigny 1664, S. 44.
26 Marigny 1664, S. 44.
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Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
Hof – Oper – Architektur
- Titel
- Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
- Untertitel
- Hof – Oper – Architektur
- Autoren
- Margret Scharrer
- Heiko Laß
- Herausgeber
- Matthias Müller
- Verlag
- Heidelberg University Publishing
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-947732-36-4
- Abmessungen
- 19.3 x 26.0 cm
- Seiten
- 618
- Schlagwörter
- Kunstgeschichte, Architektur, Oper, art history, architecture, opera
- Kategorie
- Kunst und Kultur