Seite - 8 - in Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern - Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
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Neuerungen imDruckgewerbenahmihreReproduzierbarkeitundVerbreitung
zu. Darüber hinaus dienten sie in ländlichen Gegenden nicht selten gar als
Hauslesebuch für die ganze Familie. Die Voraussetzungen waren insofern
günstig, umüberGeschichtsschulbücher sinnstiftendeErzählungenhervorzu-
bringen und vor allem nationaleMythen zu etablieren.2Aktuelle Geschichts-
schulbücher stehen in Teilen noch immer in dieser Tradition, sei es weil der
Nationalstaat auch in den gegenwärtigenMigrationsgesellschaften die Orien-
tierung vorgibt, sei es weil Renationalisierungsprozesse vor allem in Ostmit-
teleuropa an Dynamik gewinnen oder triftige Geschichtsdarstellungen ange-
sichts traditioneller Erwartungen an einenUmgangmit Vergangenheit als zu
wenig spannendoderzugespitztwahrgenommenwerden.
Neben demBlick darauf, ob SchulbücherMythen generieren undperpetu-
ieren, ist es gerade für die neuerenGeschichtsschulbücher aufschlussreich zu
untersuchen,wie siemitmythischenErzählungenumgehenund inwiefern sie
deren Strukturen sichtbarmachen.Mindestens sowichtig wie die Entlarvung
»unwahrer« Geschichten wäre es demnach, dass die geschichtsdidaktische
Auseinandersetzung mit Mythen dazu führt, eine fachlich konkretisierte
Grundlagezuschaffen,dieauchdiepolitischeundkulturelleBedeutsamkeitvon
Mythen jenseits historischerWahrheiten in den Blick nimmt und damit ihre
Funktion imGeschichtsbewusstsein analysierbar macht. Insofern könnte die
kulturwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Mythos weiterführende An-
stöße fürdieErprobungseinergeschichtsdidaktischenRelevanzgeben.Hierzu
gehörenFragennachdemBeitragdes Schulbuchs zur permanentenFort- und
Umerzählung derMythenwie nach ihremAnteil an der Dekonstruktion von
Geschichtsmythen.
Schließlich lenkt die Beschäftigungmit Geschichtsschulbüchern und ihren
Mythen die Aufmerksamkeit auf die anhaltende Aktualität von Mythen. In
dreifacher Hinsicht erweisen sich Geschichtsmythen als lohnender Diskussi-
onsgegenstand: Sie sind Indikatordafür,wieGesellschaftenmitVergangenheit
umgehen,wiesieGemeinschaftenaufkollektiveIdentitätenzurückführen,seies
rückwärtsgewandt aufgrund gemeinsamer Herkunft oder zukunftsorientiert-
utopischhin zu gemeinsamenZielen.Mythen geben insofernAufschlussüber
Geschichtskulturen.Wie eine Gesellschaft mit Vergangenheit umgeht, was sie
zumMythos erklärt, lässt verstehen,was sie für erinnerungswürdig hält. Felix
HinzbeschäftigtsichvordiesemHintergrundmitdenSchlachtenvonMarathon
unddenenvonToursundPoitiers.HansjörgBienerrichtetinseinemBeitragden
Blick darauf, wie sich die Darstellung des ersten Kreuzzugs wandelt. Er wirft
auchdieFrageauf,obes sichbeimBegriff »Mythos«nichtumeineLeerformel
2 FürFrankreichvgl.SuzanneCitron,LeMythenational.L’histoiredeFrancerevisit8e,Ivry-sur-
Seine:Pditionsde l’atelier, (1987)2008.
RolandBernhardetal.8
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY
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Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Titel
- Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
- Untertitel
- Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Autoren
- Roland Bernhard
- Susanne Grindel
- Felix Hinz
- Herausgeber
- Christoph Kühberger
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0686-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 294
- Kategorie
- Lehrbücher