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scheint vielmehr, welche FunktionMythen für eineGesellschaftübernehmen.
Eine Typologie anhand der Vermittlungs- undGrundfunktionen vonMythen
unternimmtdaherHeidiHein-Kircherundhält fest,dasspolitischeMythensich
aufpolitischeGemeinschaftenundihreaktuellenBedürfnissenachSinnstiftung
undOrientierung richten.19 InähnlicherWeise ließe sichauchdieAbgrenzung
vonGeschichtsmythenundUtopien oder Ideologien vornehmen. DerMythos
entwirftkeinekünftige idealeGemeinschaft, sondernermobilisiertKräfte.Von
derIdeologiesetztderMythossichdadurchab,dasserstärker integriertalsdie
auf Spaltung undReproduktion bestehenderOrdnungen gerichtete Ideologie.
Gleichwohl lassesichderMythos,soBizeul, indenDienstsowohlderUtopieals
auch der Ideologie stellen.20Mythen sind also keine Propaganda, sondern sie
sind Ausdruck legitimer Bedürfnisse; sie können abermissbraucht und pro-
pagandistischoder ideologisch instrumentalisiertwerden.
Eine trennscharfe Definition vonGeschichtsmythen ist also schwierig und
lässtsichallenfallsaufderGrundlagevonInhaltenundFunktionenbestimmen,
die sie besitzen, umdas geschichtlicheRückversicherungsbedürfnis einerGe-
meinschaftzubefriedigen.Geschichtsmythenmüssendabeimehrleistenalsden
Mythos zu beschwören. Siemüssen vielen Gruppen Anknüpfungspunkte zur
gesellschaftlichenSelbstvergewisserungbieten, umgemeinschaftsstiftendeBe-
deutungzuerlangen.DiesgiltvoralleminUmbruchs-undKrisenphasen.Kurz,
esmuss sich um »funktionierende« Erzählungen handeln, wie der Politologe
undKulturwissenschaftlerClausLeggewie zuRechtbetonthat.21
In demBeitrag vonHansjörg Biener in diesemBandwird das Analysepo-
tenzial des Mythosbegriffs in Frage gestellt und stattdessen der allgemeine
Begriff »Narrativ« vorgeschlagen (S. 153). Aufgrund der Vielschichtigkeit des
Begriffs »Mythos« und ob der angesprochenen Schwierigkeit einer trenn-
scharfenDefinition lässt sich diese Positionnachvollziehen. Allerdingswürde
eine Aufgabe des Begriffs innerhalb der Geschichtsdidaktik und der Schul-
buchforschung auchdenVerzicht auf dieTeilnahme an einem interdisziplinär
diskutierten Forschungsfeld bedeuten. Darüber hinaus wird der Begriff »My-
thos« sowohl in der populären als auch in der wissenschaftlichenGeschichts-
kulturverwendet.Esstellt innerhalbderGeschichtsdidaktikeinenKonsensdar,
dass SchülerinnenundSchüler imGeschichtsunterricht dazubefähigtwerden
19 HeidiHein-Kircher, Ȇberlegungen zu einerTypologie vonpolitischenMythenaushisto-
riographischer Sicht – ein Versuch«, in: dies. undHans Henning Hahn (Hg.), Politische
Mythen im 19. und 20. Jahrhundert inMittel- und Osteuropa, Marburg: Herder Institut,
2006, 407–424.
20 Bizeul Politische Mythen, 10. Bizeul spricht auch von der Entweder-Oder-Struktur der
Ideologie, ebd., 12.
21 Zit. nachHeidiHein-Kircher, »›DeutscheMythen‹ und ihreWirkung«, in:AusPolitikund
Zeitgeschichte63, 13–14 (2013), 33–38, 33.
RolandBernhardetal.14
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY
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Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Titel
- Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
- Untertitel
- Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Autoren
- Roland Bernhard
- Susanne Grindel
- Felix Hinz
- Herausgeber
- Christoph Kühberger
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0686-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 294
- Kategorie
- Lehrbücher