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innerhalbdererSinnbildungenanerkanntwerden,veränderthaben.Aufgrundder
nun fehlenden normativen Triftigkeit ist hier von einem Geschichtsmythos zu
sprechen;
c) die retrospektiven Bedeutungszuschreibungen zu einer solchen Bewertung von
vergangenen Ereignissen führen, die beispielsweise als rückblickende Bedeu-
tungsüberhöhungbezeichnetwerdenkann.DieNarrationwirddannaufgrundder
problematischennarrativenTriftigkeit zueinemGeschichtsmythos.
Als erstesElement einesGeschichtsmythos seihierdemnachmangelndeTriftig-
keit angeführt. Ameinfachsten sind solcheGeschichten alsMythos zu klassifi-
zieren,diederKategoriea)entsprechendempirischnichttriftigsind.DieMythen
derKategorieb)findensichunterandereminvergangenengeschichtskulturellen
Objektivationen, indenenSinnbildungenvertretenwerden,dieheutekaumnoch
Anerkennung finden. Bei somanch einemDenkmal aus vergangenen Jahrhun-
dertenlohnteineUntersuchungderFrage,inwiefernessichbeiderihmzugrunde
liegendenNarration aus heutiger Sicht um einenMythos handeln könnte. Als
Beispiel fürdieKategorie c) sindunter anderemdie inderHistoriographieweit
verbreitetenUrsprungsmythenzunennen,die zwarmitunter aufbelegbareEin-
zelheitenverweisenkönnen,dieseabersoüberhöhen,dassdieDeutungalsBeginn
einer langfristigenEntwicklungdoch fraglicherscheint.
Dabeiwirddeutlich,dassdieseDefinitionnochnichtausreichendist, insofern
sie nicht hinreichend klärt, weshalb bestimmte Narrationen, deren Triftigkeit
problematisch ist, dennoch eine breite gesellschaftliche Zustimmung erfuhren
beziehungsweisenochheuteerfahren.SomussalsonochdieentscheidendeFrage
nachdenFunktionen, die diese historischenOrientierungen im»Geschichtsbe-
wusstsein in der Gesellschaft«49 erfüllen, gestellt werden. Ohne eine solche ge-
sellschaftliche Funktion ist dieNarration eben eineGeschichtemit problemati-
scherTriftigkeit, understwennsie als »ArtikulationvonGeschichtsbewusstsein
im Leben einer Gesellschaft«50 gesellschaftlich anerkannt ist und damit Orien-
tierungsbedürfnisse für bestimmte Kollektive befriedigt, kann sie als Mythos
verstandenwerden.So istdieobigeDefinitionumeineweitere zuergänzen,mit
derdiegeschichtskulturelleFunktionvonGeschichtsmythengenauerindenBlick
genommenwerdenkann.AuchhiersollaufdieTheorieangebotevonJörnRüsen
zurückgegriffenwerden–namentlich aufdiedreiDimensionenderGeschichts-
kultur.51
49 Karl-Ernst Jeismann, »Didaktik der Geschichte. DieWissenschaft von Zustand, Funktion
undgesellschaftlicherVeränderunggeschichtlicherVorstellungen imSelbstverständnisder
Gegenwart«, in: Kosthorst (Hg.),Geschichtswissenschaft. Didaktik – Forschung – Theorie,
9–33, 12.
50 JörnRüsen, »Geschichtskultur«, in:Geschichte inWissenschaft undUnterricht, 46 (1995),
509–521, 513.
51 JörnRüsen,Historik.TheoriederGeschichtswissenschaft,Köln/Weimar/Wien:Böhlau,2013
Was ist einhistorischerMythos? 21
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY
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Buch Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern - Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag"
Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Titel
- Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
- Untertitel
- Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Autoren
- Roland Bernhard
- Susanne Grindel
- Felix Hinz
- Herausgeber
- Christoph Kühberger
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0686-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 294
- Kategorie
- Lehrbücher