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Forschung durch nationalistische Ideologien geprägt, so dass die sogenannte
»ethnische«DeutungvonFundengut indenzeitgenössischenDiskurspasste.52
NachdieserMethodebemühtesichKossinadarum,bestimmteFundgruppenals
»germanisch«zutypisieren.Ersuchtenachscharfumgrenztenarchäologischen
Kulturprovinzen, in denen nach seinerAnsicht kulturell und anthropologisch
homogene Völker lebten.53 Diese Vorgehensweise blieb nicht ohne Wider-
spruch,54 fandaber vieleBefürworter.55 ImLaufeder zweitenHälfte des zwan-
zigstenJahrhundertszeigtesichaberdeutlich,dassdiebesserenArgumenteauf
der Seitedererwaren,die einer solchen ethnischen Interpretationvonarchäo-
logischenFundenskeptischgegenüberstanden.Eine»germanische«Kulturlässt
sich im Fundmaterial nicht klar definieren.56 »Der Germanenbegriff, so stellt
sich heraus, war zu allen Zeitenwidersprüchlich undmißverständlich.«57Die
wesentliche Begründung für die Beibehaltung des Terminus ist die lange Tra-
dition seinerVerwendung.
Abgesehen von den begrifflichen Schwierigkeiten gibt es noch weitere
Überlegungen,diegegeneineGleichsetzungvon»Germanen«und»Deutschen«
sprechen.DieseGleichsetzunghat ihrenUrsprungbeihumanistischenGelehr-
ten inMitteleuropa,die indenStämmenderGermaniadesTacitus ihreantiken
Vorfahrenentdeckenwollten,umsichdadurcheine ruhmreicheVergangenheit
zuverschaffen.Noch imachtzehnten JahrhundertwardieAnnahmeeiner sehr
engenAbstammungsbeziehung zwischenGermanen undDeutschen aber kei-
neswegsallgemeinanerkannt.58ErstdieStärkungdesdeutschenNationalismus
52 Sebastian Brather, Ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie. Ge-
schichte, GrundlagenundAlternativen (Ergänzungsbände zumReallexikon derGermani-
schenAltertumskunde42),Berlin,NewYork:WalterdeGruyter, 2004, 24f.; BruceTrigger,
HistoryofArchaelogicalThought, Cambridge:UniversityPress, 1989.
53 HeinzGrünert,GustafKossina (1858–1931).VomGermanistenzumPrähistoriker. EinWis-
senschaftler im Kaiserreich und in derWeimarer Republik, Rahden/Westf.: VerlagMarie
Leidorf, 2002, 71–74.
54 Grünert,GustafKossina, 115–121; Sievertsen,DieDeutschenund ihreGermanen, 97.
55 Sievertsen,DieDeutschenund ihreGermanen, 86f.
56 Claus von Carnap Bornheim, »Hans Jürgen Eggers und derWeg aus der Sackgasse der
ethnischenDeutung«, in: Heiko Steuer (Hg.), Eine hervorragend nationaleWissenschaft.
Deutsche Prähistoriker zwischen 1900 und 1995 (Ergänzungsbände zum Reallexikon der
GermanischenAltertumskunde 29), Berlin, NewYork:Walter deGruyter, 2001, 173–198;
Heiko Steuer, »Das »völkisch«Germanische in der deutschenUr- und Frühgeschichtsfor-
schung.ZeitgeistundKontinuitäten«, in:HeinrichBeck,DieterGeuenich,HeikoSteuerund
Dietrich Hakelberg (Hg.), Zur Geschichte der Gleichung »germanisch-deutsch« (Ergän-
zungsbände zumReallexikon der Germanischen Altertumskunde 34), Berlin, New York:
WalterdeGruyter, 2004, 357–502.
57 Pohl,Germanenbegriff, 177;Ders.,DieGermanen, Enzyklopädie deutscherGeschichte 57,
München: Oldenbourg, 2004, 1–7; Bleckmann,DieGermanen, 15–41;Meinhard-Wilhelm
Schulz,»SinddieGermanennureineFiktion?«,in:Geschichtefürheute2,4(2009),15–30,24.
58 IngoWiwjorra, Der Germanenmythos. Konstruktion einer Weltanschauung in der Alter-
BjörnOnken70
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Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Titel
- Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
- Untertitel
- Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Autoren
- Roland Bernhard
- Susanne Grindel
- Felix Hinz
- Herausgeber
- Christoph Kühberger
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0686-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 294
- Kategorie
- Lehrbücher