Seite - 71 - in Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern - Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
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amAnfangdesneunzehnten Jahrhundertsverhalf denGermanendauerhaft zu
dembevorzugtenPlatzunterdenVorfahrenderDeutschen.EineRedevonErnst
MoritzArndtvom13. Juli 1807veranschaulicht,wiediesbegründetwurde:
Germanen,welcheinNameundwelcheinVolk!Es lebennochvieledavon;wirdürfen
nicht allein stolz darauf sein. Die Skandinavier auf den Inseln undHalbinseln, die
meistenBriten, die Franzosen, die Spanier, die Italiener– all die ersten, gebildetsten
undschönstenNationenEuropasstammendavonodersinddochdamitgemischt.Aber
wirMännerderdeutschenZungezwischendenAlpen,demRhein,derWeichselund
derNordsee,wirbewohnendasalteLandderGermanen,wirsprechenihreSprache.59
Mit der Sprache alsKriterium für die Zugehörigkeit zu einerNation ließ sich
zudem begründen, dass die Deutschen zwar auch von Römern, Kelten und
Slawen abstammen, das germanische Element aber dominiert.Wie auch um-
gekehrt nachAnsicht der deutschenNationalisten dieDominanz der romani-
schen Sprache beimZusammenleben der Frankenmit der einheimischen Be-
völkerung inWesteuropaanzeigte, dassdortdie germanische Identitätweitge-
hendverlorengingunddieFranzosendaherehermitdenRömern identifiziert
werdenkonnten.
NochweiteralsdieallgemeineGleichsetzungvonDeutschenundGermanen
ist die Gleichsetzung der germanischen Kämpfer der Varusschlacht mit den
Deutschenvoneiner empirischenTriftigkeit entfernt.Mit dieser Identifikation
wird derMythos auf die Spitze getrieben. Denn schon der erste Blick auf die
antikenAutorenzeigt,dassnichteinmaldieGermanenzwischenRheinundElbe
geschlossen auf der Seite des Arminius standen.60Außerdemverließen einige
Nachfahren der Teilnehmer derVarusschlacht ihreHeimat, als in derVölker-
wanderungszeit die Langobarden das heutige Niedersachsen auf ihremWeg
nach Süden durchzogen und wenig später viele Sachsen nach England aus-
wanderten. IndenSachsenkriegenKarlsdesGroßengab esunterdenZurück-
gebliebenen zahlreicheOpferdurchKampf,MassenhinrichtungenundDepor-
tationen,während fränkischeKolonisteneinwanderten.61Es ist zwar zuerwar-
ten, dass um 1800 in Norddeutschland Menschen lebten, die von den
germanischen Kämpfern des Arminius abstammten, aber ob sie noch die
Mehrheit der Bevölkerung stellten, konnte auchmit demWissen der Zeitge-
nossen amAnfang des neunzehnten Jahrhunderts bezweifelt werden. Klarheit
tumsforschungdes 19. Jahrhunderts, Darmstadt:WissenschaftlicheBuchgesellschaft, 2006,
56.
59 Zitiert nachebd., 59.
60 SogelangesGermanicus,dieschwangereEhefraudesArminiusgefangenzunehmen,dasie
von ihremVater, dem Cheruskerfürsten Segestes, an die Römer ausgeliefert wurde, vgl.
Tacitus,Annalen1, 57.
61 Hans JürgenNitz, »HistorischeKolonisationundPlansiedlung inDeutschland«, in:Ders.,
AusgewählteArbeiten, Berlin:DietrichReimer, 1994, 66–76.
DerHermannsmythos indeutschenSchulbüchernvon1800bis2000 71
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Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Titel
- Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
- Untertitel
- Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Autoren
- Roland Bernhard
- Susanne Grindel
- Felix Hinz
- Herausgeber
- Christoph Kühberger
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0686-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 294
- Kategorie
- Lehrbücher