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DieGermanicusfeldzügewerdenofterwähntundbisweilenalserneuterVersuch
einer EroberungGermaniens durch die Römer gedeutet, der durchaus Erfolg
hättehabenkönnen.SehreindeutiggegeneinekriegsentscheidendeBedeutung
der Varusschlacht spricht sich Joseph Dahmen aus. Nach seiner Darstellung
glaubte »Germanicus noch ein Jahr […]nötig zu haben, umGermaniensUn-
terwerfung zu vollenden. Aber Tiberius […] bestimmte, dass der Rhein die
Grenze zwischen dem römischen Reiche und Germanien bleiben sollte.«73
SchließlichzeigtsicheinegewisseDistanzzumMythos, indemderAnführerder
GermanenalsSieger inderSchlachtzwarhochgeehrt,derNameHermannaber
nichtdurchgängigverwendetwird(Welter,Kahnmeyer/Schulze).EinigeSchul-
buchautorenbleibenbeidemausderAntikeüberliefertenArminius(Neubauer,
Müller, Frohnmeyer), dasmitunter zuArmin eingedeutschtwird (Stich, Dah-
men,Andrä,Martens).ObwohlalsodieGeschichtskulturehereineVerstärkung
desHermannsmythos nahelegt, trifftman imKaiserreich hinsichtlich der Be-
deutung der Schlacht auf grundlegende Relativierungen, der NameHermann
wirdnicht regelmäßig verwendetunddiedirekte Identität vonGermanenund
Deutschennichtkonsequentkonstatiert.Hier lässteinegenauereUntersuchung
weitere interessanteErgebnisse erwarten.
Sicher ist indiesemZusammenhang zubedenken, dass imLaufe desneun-
zehnten Jahrhunderts die Verwissenschaftlichung der Geschichtsschreibung
signifikante Fortschritte machte. In diesem Rahmen entstanden auch ein-
schlägige Darstellungen zur römisch-germanischen Auseinandersetzung, die
nüchternereSichtweisenaufdieVarusschlachtmitwissenschaftlichenBegrün-
dungen untermauerten. Der zu Lebzeiten hochgeschätzte Leopold vonRanke
führte in seinem1883 erschienenenBand zur römischenKaisergeschichte die
Bewahrung der Freiheit der Germanen auf die politischen Abwägungen von
KaiserTiberiuszurück74undauchdereinflussreicheTheodorMommsenhatim
1885veröffentlichten fünftenBandseiner viel gelesenenRömischenGeschichte
dieBedeutungderVarusschlachtstarkrelativiert.75ObwohldieGymnasiallehrer
Lange 1902, 14; Friedrich Junge, Leitfaden für denGeschichtsunterricht in Real-, höheren
Bürger-undMädchenschulen, Berlin:VerlagvonFranzVahlen, 4.Auflage1907, 81.
73 Dahmen,LeitfadenderGeschichte, 95; vgl. auchHechelmann,Welters LehrbuchderWelt-
geschichte, 339.
74 Leopold von Ranke,Weltgeschichte, 3. Theil. Das altrömische Kaisertum, 1. Abtheilung,
Leipzig:VerlagvonDuncker&Humblot, 1883, 31.
75 Stefan Rebenich: »›Die Urgeschichte unseres Vaterlandes‹ – Theodor Mommsen, die
Reichslimeskommission und die Konstruktion der deutschen Nationalgeschichte im
19. Jahrhundert«, in:MichelRedd8undSiegmarvonSchnurbein(Hg.),Al8siaet labataille
duTeutoburg (Beihefte zur Francia 66), Ostfildern: JanThorbeckeVerlag, 2008, 105–120;
noch 1871 hatteMommsen allerdings in derVarusschlacht einen »Wendepunkt derWelt-
geschichte« gesehen, vgl. Theodor Mommsen, »Die germanische Politik des Augustus
(1871)«, in: Ders., Reden und Aufsätze, Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1905,
316–343,341.SehrkritischäußertsichüberArminiusauch:FriedrichKoepp,DieRömerin
BjörnOnken74
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Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Titel
- Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
- Untertitel
- Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Autoren
- Roland Bernhard
- Susanne Grindel
- Felix Hinz
- Herausgeber
- Christoph Kühberger
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0686-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 294
- Kategorie
- Lehrbücher