Seite - 104 - in Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern - Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
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diesesgesteigerteInteresseanBehaimschoninSchulbüchernvor1933odererst
nach1945erkennbarwird.
Es lässt sichauchdenken,dassderMythoserstnachdemZweitenWeltkrieg
im Zusammenhang mit der Entnazifizierung seine heutige Bedeutung in
Schulbüchern bekamund/oder im Zusammenhangmit der Neuinszenierung
derStadtNürnberg zu sehen ist.Die StadtwurdenachdemZweitenWeltkrieg
international auch als »Nazi-Shrine« bezeichnet.62 Die laut dem Nürnberger
OberbürgermeisterWilly Liebel »deutscheste aller deutschenStädte«63, war ab
demJahr1927SchauplatzderReichsparteitagederNSDAP64undstandauch in
unrühmlicher Verbindung mit den Nürnberger Gesetzen von 1935. In der
Nachkriegszeit versuchten Stadtväter,Wirtschaft und Bürgerkreise das Image
Nürnbergsals»Nazistadt«zuüberwindenund,sicheinneuesProfilgebend,die
frühereAnziehungskraft der Stadtwieder zubeleben.65 IndiesemZusammen-
hanggaltes,nichtbelasteteSymbolezufindenundmöglicherweisebotsicheine
Neuinterpretation Behaims als »westlich orientiertem« progressivenWissen-
schaftler für eine Imagepolituran.
DieDeutungsmuster in Bezug auf Behaimbleiben auch nach demZweiten
Weltkrieg zumTeil ähnlich.Wie schon indeutschnationalenKreisen, imZuge
von Kolonialrhetorik oder bei den Nationalsozialisten Behaim als Wissen-
schaftler konstruiert wurde, bleibt diese Leseart Behaims auch in der Nach-
kriegszeit bestehen. Allerdings änderten sich insofern die Vorzeichen, als die
angestrebte Sinnbildung nichtmehr dieselbewar. So zeigt sich, dassmit dem
Mythos vonBehaimals einer der ProtagonistenderWissenschaftlichenRevo-
lution völlig unterschiedliche Sinnbildungen angeboten werden können und
dieser damit in verschiedener Weise »mythomotorisch« verwendet werden
kann.MöglicherweiseistdiesmiteinGrunddafür,dasssichderBehaimmythos
soungebrochen inderGeschichtskulturhält.
Für denUnterricht ist die Analyse vonGeschichtserzählungen hinsichtlich
jenerFunktionen,diesieinpolitischenZusammenhängenerfüllen,vongroßem
Wert. »Mythen gewinnen ihre Form, Bedeutung und Strahlkraft […] aus den
SinnbedürfnissenderGegenwart; sie lebenso lange,wiedieseSinnbedürfnisse
bestehen.«66 Dies im Unterricht zu reflektierten und beispielsweise die Be-
haimrezeptionimLaufederGeschichteherauszuarbeitenunddieverschiedenen
62 Werner K. Blessing, »Nürnberg ein deutscherMythos«, in: Helmut Altrichter u.a. (Hg.),
Mythen inderGeschichte, Freiburg imBreisgau:Rombach2004, 371–396, 392.
63 Ebd., 390.
64 Vgl.auchDieterWuttke,NürnbergalsSymboldeutscherKulturundGeschichte.EinVortrag,
Bamberg:Kaiser, 1987.
65 Blessing,Nürnberg, 392.
66 Assmann,Mythos, 15–16.
RolandBernhard104
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Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Titel
- Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
- Untertitel
- Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Autoren
- Roland Bernhard
- Susanne Grindel
- Felix Hinz
- Herausgeber
- Christoph Kühberger
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0686-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 294
- Kategorie
- Lehrbücher