Seite - 119 - in Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern - Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
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nicht zu der Vorstellung, dass Afrika der Kolonialherrschaft bedürfe, um aus
Geschichts- undKulturlosigkeit herausgeführt zuwerden. EinBeispiel für die
UnterdrückungdiesesAfrikawissens istdieWiederentdeckungderRuinenstadt
GroßSimbabwedurch europäischeForschungsreisendegegenEndedesneun-
zehnten Jahrhunderts. DieUrsprünge derHauptstadt desMunhumutapa-Rei-
ches sind inzwischen durch Radiokarbonuntersuchungen auf das elfte Jahr-
hundert datiert. IndempolitischenundwirtschaftlichenZentrumdesReiches
lebten bis zu 18.000 Menschen von Rinderzucht, Goldgewinnung und Fern-
handelmit Persien undChina. Bis in die 1960er Jahre bestritten europäische
Forschende jedochimmerwiederdenindigenenUrsprungderWeltkulturerbe-
Anlageundversuchten,dieErbauungaufkulturellvermeintlichhöherstehende
arabischeoderphönizischeEinflüsseausdemNordenzurückzuführen.7
DieVersuche, denKolonialmythos zu festigenoder zu revitalisieren, lassen
sichalso invielenBereichennachvollziehen.Politik,Geschichtsdarstellungund
Wissenschaft der europäischenStaaten sind invielfältigerWeise von ihrenko-
lonialenErfahrungengeprägt.DieerwähntenBeispiele illustrieren,wiestarksie
überdieDekolonisierunghinaus fortwirkenundgegenwärtigeAuffassungenin
derAußenpolitik, der historischen Selbstwahrnehmungoder derWissensord-
nungberühren.VordiesemHintergrundscheintderkolonialeMythoskauman
Aktualität verloren zu haben, zumal die Formen, in denen derKolonialismus
dabei erzählt wird, denmythischen Erzählweisen entsprechen. Diese Erzähl-
weisen reduzieren die Komplexität von Herrschaftsbeziehungen auf einfache
GegensätzeundsieersetzendieVerflechtungenkulturellerBegegnungendurch
Grenzziehungen.
GlobalgeschichteundPostkolonialismus
GegenüberdiesenVersuchen, denMythos zu revitalisieren, insistieren global-
geschichtlicheAnsätzedarauf,dassderKolonialismusinAfrikaeineGeschichte
von europäischen und afrikanischen wie von innereuropäischen und inner-
afrikanischenInteraktionenist.»Europaerwuchsebensoausseinenimperialen
Projekten wie koloniale Begegnungen von innereuropäischen Konflikten ge-
prägt waren.«8Von dieser Feststellung ausgehend, plädierten die amerikani-
7 Walter Sauer, »VergesseneGlanzzeiten.AfrikageschichtsloserKontinent?«, in:KatjaBöhler
und JürgenHoeren (Hg.),Afrika.Mythos und Zukunft, Freiburg: Herder, 2003, 39–48, 46.
8 Frederick Cooper und Ann Laura Stoler, »Between Metropole and Colony. Rethinking a
ResearchAgenda«,in:dies.(Hg.),TensionsofEmpire.ColonialCulturesinaBourgeoisWorld,
Berkeley: University of California Press, 2009 [orig. 1997], 1–56; Deutsche Fassung in:
ClaudiaKraft u .a. (Hg.),Kolonialgeschichten. Regionale Perspektiven auf ein globales Phä-
nomen, Frankfurt/Main:Campus, 2010, 26–66.
MythosKolonialismus.DieeuropäischeExpansion inAfrika 119
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Buch Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern - Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag"
Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Titel
- Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
- Untertitel
- Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Autoren
- Roland Bernhard
- Susanne Grindel
- Felix Hinz
- Herausgeber
- Christoph Kühberger
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0686-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 294
- Kategorie
- Lehrbücher