Seite - 130 - in Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern - Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
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Kolonialwarenwerbung zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts in Europa
verbreiteten, finden ihrenWeg erst in den 1990er Jahren als kolonialkritisch
intendierte Quellenmaterialien in die Schulbücher. Dort sollen sie dannMy-
thisierungensichtbarundmöglichst rückgängigmachen.Repräsentationendes
Anderen, dieüber ethnografischesWissenvermittelt werden, dienen aber seit
Beginndes Jahrhundertsdazu,dieDifferenzzwischeneuropäischenundnicht-
europäischenMenschenzubetonenunddiesumsostärker, jemehrWissenüber
kolonisierteBevölkerungennachEuropagelangt.LokaleKulturenwerdendabei
alsRelikte einer zuüberwindendenVergangenheitdargestellt.44
Das Bild des Anderen als eines kriegstreiberischen und barbarischen
Kämpfers legitimiert in dieser Logik die eigeneGewalt. So lassen sich die ge-
waltsameExpansion Frankreichs imNordenAfrikas gegen eine »kriegerische
Bevölkerung«45, die Taktik der verbrannten Erde imKampf gegen die Bantu-
völkerunddieZerschlagungdesReichsder»warlikeZulus«46 inSüdafrikaoder
dieKolonialkriege gegenHereroundNama inDeutsch-Südwestafrika als legi-
timeGewaltdarstellen.
Die Tuareg werden als furchterregende Krieger beschrieben, gegen deren
Widerstand Frankreich seinen Herrschaftsbereich in der algerischen Sahara
ausdehnt,umAlgerienvollständigzuunterwerfenundseinewestafrikanischen
Kolonienzuarrondieren.
Von hoher Statur, muskulös, mit dunklem Teint ist der Targi in blaue oder weiße
Baumwollstoffe gekleidet. Die Turbanspitze insGesicht gezogen lässt nur die Augen
frei:dasGewebeoderderSchleier(Tagelmust)schütztdieNasenlöcherunddenMund
gegenSandstürmeoderböseGeister.AlsWaffenträgtderTargidieLanze,dengeraden
SäbelunddengroßenSchildausAntilopenhaut.DerKrieger aufdemReit-Dromedar
hat seinenPagenhinter sich.47
In die Faszination angesichts der Fremdartigkeit der Tuaregmischen sichRe-
spekt gegenüber ihrer Kampfkraft, aber auchÜberlegenheit angesichts ihres
Aberglaubens.
In der Gestalt des westafrikanischen Herrschers Samory Tour8 steht den
französischen Kolonialsoldaten bei ihrem Vordringen entlang des Niger ein
bedeutendermilitärischerFührergegenüber.SeinSultanat istetwahalbsogroß
wie Frankreich und sein Heer besteht aus 40.000 Mann. Die ausführliche
Schilderung derÜberwältigung Samorys durch den französischen Capitaine
44 Serhat Karakayali undMarionvonOsten, »KolonialismusundModernekritik«, in: Anika
Keinzu.a.,KulturelleÜbersetzungen, Berlin:Reimer, 2012, 183–199, 194.
45 ImOriginal »populationbelliqueuse«,Alba,CoursMalet-Isaac, 393.
46 Bild einesZulu-Kriegers in: Rodert JohnUnstead, ACentury ofChange.1837-Today, Lon-
don:Black, 1964, 95.
47 Alba,CoursMalet-Isaac, 395;EigeneÜbersetzungderausführlichenBildunterschrift.
SusanneGrindel130
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY
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Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Titel
- Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
- Untertitel
- Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Autoren
- Roland Bernhard
- Susanne Grindel
- Felix Hinz
- Herausgeber
- Christoph Kühberger
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0686-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 294
- Kategorie
- Lehrbücher