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Zur Genealogie der Moral
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Zweite Abhandlung: »Schuld«, »schlechtes Gewissen« und Verwandtes. 1 Ein Thier heranzüchten, das versprechen darf – ist das nicht gerade jene paradoxe Aufgabe selbst, welche sich die Natur in Hinsicht auf den Menschen gestellt hat? ist es nicht das eigentliche Problem vom Menschen?… Dass dies Problem bis zu einem hohen Grad gelöst ist, muss Dem um so erstaunlicher erscheinen, der die entgegen wirkende Kraft, die derVergesslichkeit, vollauf zu würdigen weiss. Vergesslichkeit ist keine blosse vis inertiae, wie die Oberflächlichen glauben, sie ist vielmehr ein aktives, im strengsten Sinne positives Hemmungsvermögen, dem es zuzuschreiben ist, dass was nur von uns erlebt, erfahren, in uns hineingenommen wird, uns im Zustande der Verdauung (man dürfte ihn »Einverseelung« nennen) ebenso wenig in’s Bewusstsein tritt, als der ganze tausendfältige Prozess, mit dem sich unsre leibliche Ernährung, die sogenannte »Einverleibung« abspielt. Die Thüren und Fenster des Bewusstseins zeitweilig schliessen; von dem Lärm und Kampf, mit dem unsre Unterwelt von dienstbaren Organen für und gegen einander arbeitet, unbehelligt bleiben; ein wenig Stille, ein wenig tabula rasa des Bewusstseins, damit wieder Platz wird für Neues, vor Allem für die vornehmeren Funktionen und Funktionäre, für Regieren, Voraussehn, Vorausbestimmen (denn unser Organismus ist oligarchisch eingerichtet) – das ist der Nutzen der, wie gesagt, aktiven Vergesslichkeit, einer Thürwärterin gleichsam, einer Aufrechterhalterin der seelischen Ordnung, der Ruhe, der Etiquette: womit sofort abzusehn ist, inwiefern es kein Glück, keine Heiterkeit, keine Hoffnung, keinen Stolz, keine Gegenwart geben könnte ohne Vergesslichkeit. Der Mensch, in dem dieser Hemmungsapparat beschädigt wird und aussetzt, ist einem Dyspeptiker zu vergleichen (und nicht nur zu vergleichen –) er wird mit Nichts »fertig«… Eben dieses nothwendig vergessliche Thier, an dem das Vergessen eine Kraft, eine Form der starken Gesundheit darstellt, hat sich nun ein Gegenvermögen angezüchtet, ein Gedächtniss, mit Hülfe dessen für gewisse Fälle die Vergesslichkeit ausgehängt wird, – für die Fälle nämlich, dass versprochen werden soll: somit keineswegs bloss ein passivisches Nicht-wieder-los- werden-können des einmal eingeritzten Eindrucks, nicht bloss die Indigestion an einem ein Mal verpfändeten Wort, mit dem man nicht wieder fertig wird, sondern ein aktives Nicht-wieder-los-werden-wollen, ein Fort- und Fortwollen des ein Mal Gewollten, ein eigentliches Gedächtniss des Willens: so dass zwischen das ursprüngliche »ich will« »ich werde thun« und die eigentliche
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Zur Genealogie der Moral
Titel
Zur Genealogie der Moral
Autor
Friedrich Wilhelm Nietzsche
Datum
1887
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.0 cm
Seiten
148
Kategorie
Geisteswissenschaften

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorrede 2
  2. Erste Abhandlung: »Gut und Böse«, »Gut und Schlecht« 10
  3. Zweite Abhandlung: »Schuld«, »schlechtes Gewissen« und Verwandtes 40
  4. Dritte Abhandlung: was bedeuten asketische Ideale? 84
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