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18 /. Staat und Gesellschaft
erlegen und Rechte gewähren^), heißen Verbände; die Personen, deren Wille
und Tat nach jener Ordnung dem Verbände zugerechnet werden, sind die Ver-
bandsorgane. Die organisierten Verbände haben vor den nicht organisierten
Gruppen all das voraus, was nur Ordnung und Regel zu schaffen vermögen; ihr
Bestand ist sicherer, ihr Wirken erfolgreicher. Darin liegt der Anreiz, gesellschaft-
liche Bildungen durch Organisation zu befestigen und leistungsfähiger zu
machen. Die Organisation nützt die natürliche Ungleichheit zwischen den Mit-
gliedern des Verbandes für die Gesamtheit aus. Immer ist es eine Minderzahl von
überlegenen Personen, die anregen, ausdenken und befehlen, eine Mehrzahl die
Gefolgschaft leistet : die glaubt, was die Führer lehren, ausführt, was die Befehls-
haber angeben. Die Organisation sichert nun die gesellschaftüche Führung, indem
sie die Autorität der Lehre und des Befehls von der Persönlichkeit ablöst, nach einer
festenOrdnunggewissePersonenmit jenenAufgaben betrautund ihnen alle anderen,
soweit es der Gemeinschaftszweck erfordert, unterordnet. Der Fortschritt der
Organisation liegt in der Richtung der Arbeitsteilung; er sondert die Funktionen:
die Beschlußfassung von der Ausführung, die Aufstellung der Regel von ilirer
Handhabung, und bestellt für jede Funktion besondere Organe. Das sind natür-
lich jene Personen, die hiefür je nach den Gesichtspunkten der Berufungsordnung
als die geeignetsten angesehen werden. Hiefür sind nicht immer die persönhchen
Eigenschaften maßgebend; oft entscheidet die Abstammung oder die religiöse An-
schauung. So wird die gesellschaftüche Fülu-ung durch Organisation geregelt, die
Macht der Organisation durch die Leistungen der Führer bewährt.
Je intensiver die Verbandszwecke sind, je mehrWohl undWehe der Verbands-
mitgheder als von dem Bestände und der Wü'ksamkeit des Verbandes abhängig
erkannt werden, desto straffer ist die Verbandsorganisation, desto größer die Gewalt
der Verbandsorgane, desto schärfer die Einheit desVerbandes nach außen hinaus-
geprägt. Ln höchsten Grade trifft dies alles beim Staate als der Voraussetzung
aller höheren Kultur zu.
Auch der Staat ist seinem Wesen nach ein gesellschaftlicher Verband ; er ist
die obersteund umfassendsteVerbandseinheit. SeineHerrschergewalt ist die höchste
im Staatsgebiete; sie ist von keiner anderen irdischen Gewalt abgeleitet, erstreckt
sich auf alleLebensbeziehungen, die er ihr unterwerfen will, und schheßt dieGewalt
jedes anderen Staates aufseinem Gebiete aus^). Dieräumhche Unterlage der Staats-
gewalt ist das Staatsgebiet; seine Bewohner sind das Staatsvolk. Das
Staatsvolkkann aus Bestandteilenvon verschiedener Abkunft, Sprache und Kultur
zusammengesetzt sein, ein im ethnographischen Sinne einheitüches Volk ver-
schiedenen Staaten angehören. Nur ein seßhaftes Volk kann einen Staat bilden,
denn erst die Gemeinschaft des Bodens und der mit dem Gebiete verknüpften
Lebensbeziehungen stellt jene feste, den Wechsel der Generationen überdauernde
Gemeinschaft der Volksgenossen her, die im Staate iliren Ausdruck findet. Durch
die Staatsgewaltwhd das seßhafte Staatsvolk zu einem nicht nur politisch, sondern
auch im Rechtssinne handlungsfähigen Gemeinwesen zusammengefaßt. Da ihm
die räumliche Unterlage des Gebietes wesentlich ist, bezeichnen wir es im Gegen-
*) Die Regel braucht nicht gerade nach Art der Gesetzgebung durch einen autoritären Willen
aufgestellt zu sein. Es genügt das— in primitiven Zeiten auf Gewohnheit beruhende— Gefühl,
berechtigt oder verpflichtet zu sein.— ^) Vergl. S. 115.
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Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918