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30 IV. Die Staatsgewalt und die Richtungen ihrer Betätigung.
werden Gesetzgebung, Kechtsprechung und Verwaltung als die drei Hauptrich-
tungen unterschieden, in welchen die — in Wirklichkeit immer einheitliche —
Staatsgewalt sich betätigt. Man pflegt diese Richtungen auch als S t a a t s f u n k-
t i n e n zu bezeichnen.
DieGesetzgebung bestehtdarin, daßRechtssätze aufgestellt, allgemeinver-
bindlicheNormen : Anordnungenund Regeln,GeboteundVerbotegeschaffenwerden,
die nicht nm- für die Untertanen, sondern— im Rechtsstaate wenigstens— auch
für die Gerichte und Verwaltungsbehörden maßgebend sind. Durch die Recht-
sprechung (Justiz) werden die Streitfälle entschieden, die sich durch die Ver-
letzung oder bei der Anwendung jener Normen ergeben. Die Verwaltung
endlich ist die Tätigkeit zur Verwirklichung der über die Schaffung und Sicherung
der Rechtsordnung hinausgehenden Staatszwecke: eine vielseitige und mit der Aus-
bildung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens stetig wachsende Wirk-
samkeit des Staates und der ihm eingegliederten Verbände zur Sicherung und
Steigerung der Wohlfalnt, die ohne derartiges Eingreifen der öffentlichen Gewalt
nicht oder nicht in gleich zweckmäßiger Weise erzielt werden könnte. Als Gesetz-
geber schafft der Staat das Recht, mit seiner Rechtsprechung und Verwaltung ist
er an das Gesetz gebunden ; insofern ist die Gesetzgebung die oberste, die für die
beiden anderen maß- und richtunggebende Funktion des Staates. Verwaltung ist
jedoch nicht bloß Vollziehung der Gesetze (gebundene Verwaltung), sondern auch
freie Tätigkeit zm- Förderung des öffentlichen Wohles (freie Verwaltung).
Die Bezeichnung dieser Richtungen, in welchen die Staatsgewalt sich betätigt,
als besondere „Gewalten" ist durch den großenEinfluß, den Montesquieu's Haupt-
werk ausübte, in den politischen Sprachgebrauch und weiterhin in die Gesetze ein-
gefülu-t worden. So werden auch in der österreichischen Verfassung die gesetz-
gebende, die richterhche und die Regierungs- und Vollzugsgewalt durch besondere
Staatsgrundgesetze geregelt.
Diese Dreiteilung besteht aber nicht nur in der Welt der Begriffe ; in derForm
der Trennung und Aufteilung der Gewalten an besondere Organe ist sie in allen
Verfassungsstaaten zu einem durchgreifenden r g an i s a t i o n s p r in z i p des
praktischen Staatslebens geworden. Auch in Österreich und Ungarn. Die gesetz-
gebende Gewalt wii-d vom Monarchen unter verfassungsmäßiger Mitwkung der
parlamentarischen Vertretungskörper (in Österreich des Reichsrates und der Land-
tage, in Ungarn des Reichstages und des kroatischen Landtages) ausgeübt. Zur
Handhabung der richterlichen Gewalt sind ausschließlich die Richter berufen, die
in der Ausübung ihres Amtes selbständig und unabhängig sind. Um den Richtern
diese Unabhängigkeit zu gewährleisten, ist die Rechtspflege von der Verwaltung in
allen Instanzen getrennt. Die Verwaltung obliegt den hiefür bestellten Staats-
behörden und körperschaftlichen Verbänden. Die ersteren sind der obersten, aber
nur durch verantwortliche Minister auszuübenden Leitungsgewalt des Kaisers, die
letzteren staatlicher Aufsicht unterworfen.
er die englischen Verfassungseinrichtungen auffaßte unddem kontinentalen Europa als das Muster-
bild einer freDieitlichcn Repräsentativverfassung vor Augen stellte. Montesquieu's Hauptwerk
„Der Geist der Gesetze" hat in der Tat großen Einfluß auf die wissenschaftliche und politische
Bewegung gehabt, die schließlich auch auf dem europäischen Kontinent den Konstitutionalismns
zeitigte. Neben diesem Werke sind noch zu nennen: die satyrische:i „Persischen Briefe" (1721)
und die „Untersuchungen über die Ursachen der Größe und des Verfalles der Römer" (1734).
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Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918