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44 IX. Die Ausbildung der Staatsgewalt.
Die weitere Entwicklung, die mit den großen Landerwerbungen einsetzt^),
wird hauptsächlich von zwei Gesichtspunkten beherrscht, von einem politischen
und einem wirtschaftlichen. Der politische Gesichtspunkt ist : dengesamtenLänder-
besitz derHabsburgergegen äußere Angriffe zu verteidigenund die Herrschermacht
des Fürsten den konkurrierenden ständischen Gewalten gegenüber zu kräftigen.
Daraus ergab sich weiterhin der Gedanke, die wirtschaftlichen Kräfte zu wecken
und zu leiten, um daraus reichlichere Mittel für die durch das Herrscherhaus
wahrgenommenen staatlichen Zwecke zu ziehen^). Hatte sich die Tätigkeit des
mittelalterlichen Staates auf Heerwesen und Gericht beschränkt, so tritt nunmehr
auch die Wohlfahrtspflege in seinen Gesichtskreis.An den selbstgestellten Aufgaben
wächst die Staatsgewalt heran. Die Handhabe zu deren Durchführung bildet das
jus politiae, das Rechtund zugleich die Pflicht des Fürsten für einen guten Zustand
der öffentlichen Angelegenheiten zu sorgen. Unter dem Namen Polizei
entwickelt sich eine immer tiefer in die Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse der
Bevölkerung eingreifende Tätigkeit des Staates, für welche vom Landesfürsten
besoldete Berufsbeamte bestellt werden. Die Umbildung der Landeshoheit zur
modernen Staatsgewalt^) hängt auf das engste zusammen mit der Ausbildung
landesfürstlicher Verwaltungsbehörden. Dieselbe wh'd später kurz dargestellt
werden^). Vorerst ist die Entstehung des österreichischen Gesamtstaatsgedankens
und eines einheitlichen Thronfolgerechtes zu erörtern.
2. Der österreichische Gesamtstaatsgedanke.
Die Erwerbung von Böhmen und Ungarn bildet den Ausgangspunkt einer
neuen Entwickelung, deren Ziel die Zusanmienfassung desgesamten habsburgischen
Länderbesitzes zu einer einheitlichenGroßmacht ist. ZwischendenvonFerdinand L
erworbenen Ländern der böhmischen und der ungarischen Krone und den alt-
österreichischen Erbländern bestand ja zunächst nur eine Personalunion. Diese
letzteren waren ursprünglich untereinander und weiterhin mit den großenErwer-
bungennurdurchdiePersondesHerrschersverbunden. SelbstdieGemeinsamkeitder
Dynastiewar anfänglich nicht rechtlich gesichert, daFerdinand das freie Wahlrecht
der böhmischen und ungarischen Stände ausdrücldich hatte anerkennen müssen.
^)Vergl. oben S. 41 u. 42.— ")Die Gesamtheit derVerwaltiingsmaßnahmen,um dieTerritorien
zu einem einheitlichen und selbständigen Wirtschaftsgebiete auszubilden, wird in der Wirtschafts-
geschichte als Merkantilsystem bezeichnet. Der Name kommt davon, daß die Handels-
und Gewerbepolitik seinen Mittelpunkt bildete. Durch ein möglichst großes Ubergewacht der Aus-
fuhr über die Einfuhr sollte die Geldmenge, dieman als die Qiielle des Reichtums ansah, vermehrt
werden. In Verbindung mit der neuen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ordnung, die sich
gegendenAusgangdes Mittelalters vorbereitete,haben jeneMaßnahmendie ursprünglichgetrennten
ländlichen und städtischen Wirtschaftskreise in engeren Zusammenhang gebracht und schließlich
zur Volkswirtschaft vereinigt. — *) Der Gedanke einer einheitlichen und allseitigen, in der
Hand des Fürsten zusammengefaßten Staatsgewalt war dem Mittelalter fremd; erstdurch die
Renaissanceund den Himianismus ist er in dem Vorbilde der antiken Staaten den Fürsten vor
die Augen gestellt worden. Fortab beginnen sie planmäßig die Hilfsquellen des Staates auszu-
bauen, die öffentlicheWohlfahrtdurchVerwaltungsmaßnahmcn zu fördern und ihren Machtbereich
durch kunstvolle Politik zu erweitern. Ratschläge hiefür erteilt der Florentiner N. M a ch i a-
V e 1 1 i in seinem für den Geist der Renaissance höchst charakteristischen Werke 11 Principe
(1515). — *) Vergl. imten S. 46 ff.
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Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918