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50 X. Die Ausbildung der Verfassung.
erlangten die früher dem Reichsverbande angehörigen Erbländer auch formell
die volle Souveränetät^). Innerhalb „des vereinigten österreichischen Staaten-
körpers", wie er in dem oben angefülu^ten Patente heißt, nahmen aber die Länder
der ungarischen Kronenochimmer eine Sonderstellung ein. Hinsichthch alleranderen
Länder galt vermöge der bisherigen geschichtlichen Entwickelung der Monarch als
der Träger einer einheitlichen Staatsgewalt; das Band gemeinsamer Staatsbürger-
schaft umfaßte seit dem allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch von 1811 alle ihre
Angehörigen ; die Erinnerung an die frühere staatliche Selbständigkeit der einzelnen
Erbländer war staatsrechtüch belanglos geworden. Anders in Ungarn, wo der
Monarch in aUen inneren Angelegenheiten ausschließlich als König von Ungarn
in Betracht kam und die ständische Verfassung in Kraft geblieben war.
Nur die dem Könige unbeschränkt zustehenden Reservatrechte (W^hr^iehi^ung
der auswärtigen Angelegenheiten, Organisation und Befehligung der bewaffneten
Macht, EinhebungundVerwendung der Kammereinkünfte)wurdenvomMonarchen
zugleich in seiner Eigenschaft als Kaiser des Gesamtstaates ausgeübt. Damit sind
die Ansätze zur Ausbildung sowohl der späteren dualistischen Gestaltung der
Monarchie als auch der den beiden Gliedstaaten gemeinsamen Angelegenheiten
gegeben. Mit dem Übergange zum Konstitutionalismus muß auch die staatsrecht-
liche Stellung der Bestandteile der Monarchie neu geregelt werden.
X. Die Ausbildung der Verfassung.
1. Die Verfassungsversuche des Jahres 1848.
Die Bewegung des Jahres 1848^) löste zugleich mit dem Verlangen nach einer
Verfassung und nach staatsbürgerlicher Freiheit auch föderalistische und nationale
Bestrebungen aus, die der Absolutismus nicht hatte aufkommen lassen^). In Ungarn
war die staatUche Unabhängigkeit ihr Ziel. So stellte denn die Revolution von 1848
Österreich vor eine dreifache Aufgabe: den Verfassungsstaat aufzm-ichten, den
Ländern ihre Stellung im österreichischen Staate anzuweisen und das Verhältnis
Ungarns zur Gesamtmonarchie neu zu regeln. Fast zwanzig Jahre, 1848 bis 1867,
dauerte es, bis nach mehrfachen Schwankungen die gegenwärtige Ordnung her-
gestellt war ; die Kräfte, die damals im Kampfe um die Ausbildung der Verfassung
miteinander rangen, wirken im pohtischen Leben der Gegenwai't fort. Darum ist
ein Überblick über die Entstehungsgeschichte der Verfassung unerläßUch zu ihrem
Verständnis^).
^) Mit diesen Ländern trat Österreich dem 1815 errichteten Deutschen Bunde bei,
in welchem es das Präsidium innehatte. Die deutsche Bundesakte ist jedoch in Österreich nie als
Gesetz kundgemacht worden. Erst infolge des Krieges von 1866 löste sich der DeutscheBund auf
und ist Deutschland ohne die Beteiligung Österreichs neugestaltet worden. — ^) Wichtige Me-
moirenwerke aus der Zeitvon 1848: ,,Aus Metternichs nachgelassenen Papieren." 8 Bände.
Wien 1880—1884, ferner die ,,Tagebücher" von KarlFreiherrn von Kübeck, 2Bände.
Wien 1909.— ^)Vergl. Jos. A. von Helfer t, Geschichteter österreichischen Revolution.
2 Bände. Wien I. 1907, IL 1909.— *) Vergl. H. F r i e d j u n g, Österreich 1848—1860. 1. Band.
Stuttgart 1908. K,. Charmatz, Österreichs innere Geschichte von 1848—1907. Leipzig 1909.
ÄltereDarstellungen vonWalter Rogge, „Österreich von Vilagos bis zurGegenwart" 1872/73
und „Österreich seit der Katastrophe Hohenwart-Beust" 1879.
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Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918