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X. Die Äushildung der Verfassung. 53
bildet ein einheitliches Zoll- und Handelsgebiet; für alle seine Völker gibt es nur
ein allgemeines österreichisches Reichsbürgerrecht. Alle Angelegenheiten, welche
nicht durch die Verfassung oder durch Reichsgesetze als Landesangelegenheiten
erklärt werden, sind Reichsangelegenheiten. Als Landesangelegenheiten werden
jene erklärt, die späterhin auch in die Februarverfassung von 1861 als
solche übergegangen sind. Das Schwergewicht der Gesetzgebung liegt darnach
im Reiche. Die gesetzgebende Gewalt wirdvom Kaiser im Vereinemitdem Reichs-
tage, in Ansehung der Landesangelegenheiten im Vereine mit den Landtagen aus-
geübt. Das Oberhaus des Reichstages wird als Länderkammer aus Abgeordneten
gewählt, die für jedes Kronland von dessen Landtage gewählt werden ; das Unter-
haus wai' als eine auf direkten Zensuswahlen beruhende Volkskammer gedacht.
Die ständischen Verfassungen treten außer Wirksamkeit; für die einzelnen Kron-
länder werden Landesverfassungen in Aussichtgenommen ; die Verfassung Ungarns
bleibt insoweit aufrecht, als sie mit der Reichsverfassung vereinbar ist. Als be-
ratendes und begutachtendes Organ wird an die Seite der Krone und der voll-
ziehenden Reichsgewalt ein dmch kaiserhche Ernennung zu bildender Reichs-
rat eingesetzt, dem die Funktionen eines Staatsrates zugedacht sind. Die voll-
ziehende Gewalt wird für das ganze Reich als einheitlich erklärt; sie steht aus-
schheßlich dem Kaiser zu und ^¥il•d durch verantwortUche Minister ausgeübt.
Durch die Regelung der richterhchen Gewalt wird die Unabhängigkeit der Recht-
sprechung sichergestellt. Gleichzeitig wm'den die den Staatsbürgern schon ün
Kremsierer Entwmfe zugedachten Grundrechte als die dmch die konstitutionelle
Staatsform gewälirleisteten politischen Rechte anerkannt, jedoch nicht für die
Länder der ungarischen Krone. Die in Aussicht gestellten Landesverfassungen sind
in den Jahren 1849 und 1850 erlassen worden. Von Wichtigkeit ist auch das pro-
visorische Gemeindegesetz vom 17. März 1849, \vodiu-ch die freiheitliche Stellung
der Gemeinden im Sinne weitgehender Autonomie geregelt wird. Durch die
Märzverfassung istdemnach die Gesamtheit der von demMonarchen beherrschten
Länder zu einem konstitutionellen Einheitsstaate zusammengefaßt worden.
Selbständigkeit Ungarns allseitig sicherzustellen und auszubilden, haben sie die notwendigen
Beziehungen zur Gesamtmonarchie außer acht gelassen. Es scheint, daß die Gemeinsamkeit, die
sieim Sinne haben, sich bloß auf die Dynastie bezog. Es fehlten dieunumgänglichen Bestinunungen
überdie allenLändern derMonarchiegemeinsamen auswärtigenAngelegenheiten, über dieDeckung
der Auslagen für Heer und Diplomatie und die Verzinsung der Staatsschuld. Der kaiserliche Ober-
befehl über das ,,ungarische Heer" wäre durch ministerielle Gegenzeichnung, ja die Stellung des
Monarchen überhaupt durch die weitgehenden Befugnisse eines unverantwortlichen Palatins
in unzulässiger Weise eingeschränkt worden. Die Kapitulation der ungarischen Revolutionsannee
bei Vilagos bedeutet zugleich die Aufhebung der Verfassung von 1847/48. Sie galt als ,,verwirkt"
und bUeb nur soweit aufrecht, als ihre Bestimmungen mit der oktroyierten Reichsverfassung vom
4. März 1849 im Einklänge stehen. Die Nebenländer Ungarns wurden abgetrennt und Ungarn
gleichgestellt. Auch das Vorrecht der ungarischen Sprache und Nationalität wurde abgeschafft.
So wurde Ungarn in die Gesamtstaatsverfassung einbezogen und nach deren Aufhebung als Pro-
vinz des Einheitsstaates absolutistisch regiert. Zufolge des Oktoberdiploms wurden jedoch ,,die
verfassungsmäßigen Institutionen" des Königreiches Ungarn wieder ins Leben gerufen. Die un-
garische Gerichts- und Komitatsverfassung, dann die ungarische und die siebenbürgische Hof-
kanzlei wurden\vieder hergestellt; auch wurde die Angliederung der Nebenländer an Ungarn ein-
geleitet. Doch hängtauch die weitere Verfassungsgeschichte Ungarns bis zum Ausgleiche von 1867
mit den Geschicken der österreichischen Verfassung eng zusammen.
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Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918