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XI. Die Gesamtmonarchie. 61
Die für den Inhalt des Ausgleiches maßgebenden Gesichtspunkte waren schon
durch die Leistungen des Absolutismus für die Einheit und Macht des Reiches
vorgezeichnet. Er hatte die Unteilbarkeit seines Länderbestandes und die Gemein-
samkeit der Dynastie durch die Pragmatische Sanktion, die einheitliche Walu-ung
der auswärtigen Interessen durch die gemeinsame diplomatische und kommerzielle
Vertretung, die Großmachtstellung des Reiches diu-ch das kaiserliche Heer gesichert
und durch manche Verwaltungseinrichtungen die beherrschten Länder auch wirt-
schaftlich zusammengeschlossen. Bei der Ordnung der Beziehungen zu Ungarn
im Jalu-e 1867 mußte an dieser für die internationale Machtstellung notwendigen
Einheitlichkeit festgehalten werden; nicht niu" an der Gemeinsamkeit des Kriegs-
wesens und der auswärtigen Angelegenheiten, sondern auch an der Gleichmäßigkeit
der wirtschaftlichen Grundlagen.
Denn es besteht ein engerZusammenhangzwischender äußerenund der inneren
Politik, insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht. Die auswärtige Politikwirdimmer
mehr zur Wirtschaftspolitik. Früher war sie vorlegend aufLanderwerb gerichtet;
nunmelu- erkennt sie es als ihre wichtigste Aufgabe, die auswärtigen Bedingungen
der einheimischen Wirtschaftsentfaltung zu erstellen und zu sichern. Sie setzt
daher auch im Innern die Ausbildung und Pflege gleichgerichteter wirtschaftlicher
Interessenvoraus. Diewirtschaftliche Interessengemeinschaft
Österreichs und Ungarns beruht darauf, daß beide Staaten in mannig-
facher Hinsicht wirtschafthch aufeinander angewiesen sind. Sie ergänzen sich gegen-
seitig: Österreich verzehrt den größten Teil der landwirtschaftlichen Überschüsse
Ungarns und Ungarn bildet das wichtigste Absatzgebiet für die österreichische
Industrie^); der größere Kapitalsreichtum Österreichs kommt dem ungarischen
Anlagemarkte zustatten. Die dadm'ch gegebenen Wechselbeziehungen sind durch
Zoll- und Wälirungsverträge, durch die gleiche Richtung der auswärtigen Handels-
politik, durch Steuer- und Verkelu'smaßnahmen zu einer engen Wii'tschaftsgemein-
schaft ausgestaltet worden. Dieselbe bildet eine unumgängliche Voraussetzung
der politischen Einheit und der Gemeinsamkeit der äußeren Politik.
Aber die eifersüchtige Sorge Ungarns, seiner staatlichen Selbständigkeit ja
nichts zu vergeben, hat es verhindert, die Bedingungen der inneren Wirtschafts-
gemeinschaft in der gleichen Weise sicherzustellen wAq die Wahi'nehmung der aus-
wärtigen Angelegenheiten und der dazu erforderlichen Machtmittel. Diese wiu-den
als „gemeinsame Angelegenheiten" erkläit ; sie werden dmch ge-
meinsame Organe einheitlich verwaltet. Jene werden von jedem der beiden Staaten
für sich verwaltet; aber sie sollenbeiderseits „nachgleichen, vonZeit zu Zeit zu ver-
einbarenden Grundsätzen behandelt werden". Im Gegensatze zu den gemeinsamen
Angelegenheiten werden diese letzteren in der Folge als „gleichartig ver-
waltete Angelegenheiten" bezeichnet werden.
2. Die formellen Grundlagen der Gemeinschaft.
Die formellen Grundlag-en der Gemeinschaft zwischen Österreich und Ungarn
bilden, von der Pragmatischen Sanktion abgesehen^), die beiderseitigen Gesetze
über die allen Ländern der Monarchie gemeinsamen Angelegenheiten und die Art
1) Man betrachte die Zahlen der Tabelle 23 des Anhanges über den Warenverkehr zwischen
Österreich und Ungarn. — -) Vergl. oben S. 46.
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Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918