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66 ' XII. Der österreichische Staat.
Das entspricht der geschichtlichen Entwickelung und ergibt sich von selbst aus
der Einheitlichkeit der Repräsentation durch den Monarchen, sowie der dem aller-
höchsten Oberbefehl unterstehenden Kriegsmacht.
Durch diese Ordnung der Dinge ist die Monarchie zurRealunion zurück-
gekehrt. Der Inhalt derGemeinschaft ist, wie wir gesehen haben, allerdings knapp
bemessen, dafür ist er nunmehr verfassungsmäßig gesichert. Für die aus der Prag-
matischen Sanktion fließenden gemeinsamen Angelegenheiten sind in den Dele-
gationenOrgane geschaffen, die zwar aus den beiderseitigenVertretungskörpern her-
vorgehen, aber doch Träger eines von ihnen unabhängigen Willens sind. Durch
die Sanktion übereinstimmender Beschlüsse beider Delegationen seitens des Mon-
archen wird der gleichgerichtete Wille beider Gliedstaaten in einer Form gebildet,
die äußerlich an den Bundesstaat erinnert. Zum Bundesstaate fehlt jedoch
eine den Gliedstaaten übergeordnete Zentralgewalt, die sich durch ihr eigenes Gesetz
zu regeln und ihren Wirkungsbereich selbst abzustecken vermöchte. Andererseits
erhebt sich die Monarchie durch die rechtliche Gemeinsamkeit der Dynastie und
durch die verfassungsmäßige Organisation für die Gemeinschaftszwecke über
den bloßen Staatenbund, der, ohne indie innereRechtsordnung der verbün-
deten Staaten einzugreifen, nur auf völkerrechtlichen Vereinbarungen beruht.
Daß wichtige Voraussetzungen der wirtschaftlichen und militärischen Ge-
meinschaft auf Vereinbarungen der Gliedstaaten angewiesen sind und in letzter
Linie durch das Sanktionsrecht und die miUtärischen Reservatrechte der Krone
behütetwerden,macht dieSchwäche des Ausgleichswerkes aus. Aber eswar vielleicht
das einzige poHtisch mögliche Mittel, um die politische und wirtschaftliche Groß-
machtstellung der Monarchie mit dem Unabhängigkeitsgefühl und der konsti-
tutionellen Staatsform ihrer beiden Gliedstaaten in Übereinstimmung zu bringen
und zu erhalten. Desto wichtiger ist es, daß die durch den Ausgleich gezogene
Mittellinie nicht nur im gegenseitigen Verkehr sondern auch in der inneren Politik
der beiden Gliedstaaten eingehalten werde. Denn die inneren Vorgänge wirken
auf das Ansehen und die Leistungsfähigkeit des Reiches zurück, die in letzter Linie
wieder den Gliedstaaten zustatten kommen. Ihre wirtschaftliche Blüte und aus-
wärtigeGeltung beruhtzumgutenTeile aufdemBeständeundderFortentwickelung
desAusgleichswerkes, das 1867mitgroßerpoUtischerWeisheitbegründetworden ist.
XII. Der österreichische Staat.
Führten die Kämpfeum die staatsrechtliche Gestaltung der Monarchie schMeß-
lich zu jenerForm der Realunion, dieim politischen Sprachgebrauche als Dualismus
bezeichnet wird, so hat sowohl in der österreichischen als auch in der ungaiischen
Reichshälfte der Einheitsgedanke das Übergewicht über die föderalistischen Gegen-
bestrebungen erlangt. Gleichwohl weisen die Verfassungen beider Gliedstaaten
föderative Züge auf, die der historisch-politischen Individuahtät der Länder Rech-
nung tragen, aus welchen sie bestehen.
Was zunächstÖsterreich anbelangt, so haben wirim IX. Kapitelgesehen,
wie durch die Ausbildung der absoluten Fürstengewalt die Bedeutung der Land-
stände und damit auch die staatsrechtliche Stellung der Länder herabgedrückt
und schließlich der Einheitsstaat aufgerichtet worden ist. Ihm traten, als Österreich
ein Verfassungsstaat werden sollte, die geschichtlichen ÜberHeferungen der Stände-
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Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918