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68 XIL Der österreichische Staat.
dazu bei, der deutschen Sprache jene staatliche Bedeutung zu wahren, die sie als
die Sprache des Unterrichtes und der staathchen Zentralstellen in der Zeit des
Absolutismus erlangt hatte.
So sind denn beide Prinzipien, sowohl der Föderalismus als auch der Zentra-
lismus, geschichtüchbegründet. Ihnen entsprechenpolitische Kräfte, dieauch in der
Gegenwart wirksam sind, und dieVerfassung muß die richtige Mittellinie zwischen
ihnen ziehen. Jeder der österreichischen Verfassungsversuche seit 1848 unternimmt
das auf seine Weise^). Für die pohtische Kennzeichnung des Staatswesens ist das
gegenwärtige Verhältnis der Staatsgewalt zu den Ländernmaßgebend, insbesondere
die Kompetenzgrenze zwischen dem Reichsrate und den Landtagen^), die Stellung
und der Umfang der Selbstverwaltung derLänder^^), endüch die Berufungsordnung
der Vertretungskörper'*).
Stellen wir die zentralistischen und föderalistischen Züge der österreichischen
Verfassung einander gegenüber^), so sind als föderalistische Merk-
male die folgenden hervorzuheben:
1. der staatsrechthche Sonderbestand der Länder, der nicht nur in den ihnen
zukommenden Titeln, sondernauch indenLandesordnungenzumAusdruckgelangt,
denen im Februarpatente die Kraft von Staatsgrundgesetzen beigelegt worden ist
2. die Kompetenz der Landtage aufdem Gebiete der Gesetzgebung, wozu noch
kommt, daß
3. die Landesgesetze die gleiche Ki-afthaben wie die Reichsgesetze, durch solche
also nicht abgeändert werden können;
4. ist hier zu erwähnen die weitgehende Selbstverwaltung der Länder, wodurch
der Bereich der staathchen Verwaltung eingeengt wird.
Hingegen wird mit Unrecht zu den föderahstischen Zügen gerechnet, daß
es an einem offiziellenNamen für die österreichische Reichshälfte fehle. Die Be-
zeichnung „im Reichsrate vertretene Königreiche und Länder" ist vielmehr aus
der — vorwiegend zentralistischen — Februarverfassung übernommen. An die
Stelle des im Februarpatente vorgesehenen ,,engeren Reichsrates" ist nach dem
Ausscheiden Ungarns der Reichsrat schlechthin getreten^). Aber schon in der
Dezemberverfassung von 1887 kommt die Bezeichnung „Österreich" in adjek-
tivischerForm vor und auch substantivisch wird sie im amtüchen Sprachgebrauch
angewendet. Seit das Gesamtreich „österreichisch-ungarische Monarchie" benannt
wird, ist in der Tat „Österreich" der zutreffende Ausdruck für den Staat und
das Staatsgebiet, die nach dem Ausscheiden Ungarns erübrigen.
DenföderahstischenZügen gegenüberüberwiegen diezentralistischen:
1. Gebietshoheit und Staatsgewalt sind im ganzen Staate dieselben.
*) Vergl. das X. Kapitel S. 52 ff. Im politischen Sprachgebrauch werden diejenigen Parteien,
welche an der durch die Dezemberverfassungvon 1867 gezogenen Mittellinie zwischen Zentralismus
und P'öderalismus festhalten, als ,,verfassungstreu", die föderalistischen Parteien als ,,konservativ"
bezeichnet. Als konservativ deswegen, weil sie an ältere Verfassungszustände anzuknüpfen
wünschen, wohl auch im Gegensatze zu der vorwiegend liberalen Staats- und Gesellschaftsauf-
fassung der Verfassungsparteien.— ») Vergl. S. 91. — ») Vergl. S. 102 ff.— «) Vergl. S. 97 ff.
u. S. 103.— *) Die Bedeutung der hier angeführten Punkte kann freilich erst gewürdigt werden,
wennman die damit berührten Teile des österreichischen Verfassungsrechtes aus der späteren
Darstellung kennen gelernt hat. — •) Vergl. oben S. 56 f.
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Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918