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z/7. Der österreichische Staat. 69
2. Für das gesamte Gebiet besteht die gemeinsame österreichische Staats-
bürgerschaft ; die frühere besondereLandeszugehörigkeit in derForm des Indigenats
ist gegenstandslos geworden.
3. Auch aus den Landesgesetzen spricht der gleiche staatliche Wille wie aus
den Reichsgesetzen ; sie werden vom Kaiser als solchem und nicht als Landesherrn
der einzelnen Länder sanktioniert.
4. Die Kompetenz der Landtage auf dem Gebiete der Gesetzgebung verhert
dadurch an Bedeutung, daß die wichtigsten Gegenstände dem Reichsrate vor-
behalten sind, dessen Abgeordnetenhaus aus direkten Volkswahlen hervorgeht.
5. In gleicher Weise treten auch die Selbstverwaltungsbefugnisse der Länder
der Staatsverwaltung gegenüber in den Hintergrund; sie allein übt die Vollzugs-
gewalt aus. Die Rechtspflege steht ausschließlich beim Staate.
6. Endlich kommen die Länder völkerrechtHch, also nach außen hin, nicht in
Betracht.
Aus dieser Gegenüberstellung ergibt sich, daß Österreich als Einheits-
staat mit weitgehender Dezentralisation der Gesetzgebung und der Verwaltung
anzusehen ist. Die Dezentralisation der Gesetzgebung besteht darin, daß es die
Landtage sind, derenZustinmiung zudemWülen desMonarchen in allen Angelegen-
heiten hinzukommen muß, die nicht ausdrücklich dem Reichsrate vorbehalten
sind. Die Dezentralisation der Verwaltung äußert sich darin, daß der Staat wichtige
Aufgaben der in den Ländern gipfelnden Selbstverwaltung überläßt und sich hiebei
nur ein überwiegend formales Aufsichtsrecht vorbehalten hat. Vermöge der engen
Zusammenhänge zwischen der Reichs- und der Landesgesetzgebung, der Staats-
und der Selbstverwaltung greifen föderative und autonomistische Gesichtspunkte
auch tief in die staatliche Gesetzgebung und Verwaltung ein.
Ausden bisherigenAusführungen erhellt zugleichder staatsrechtliche Charakter
der Länder. Ihr Rechtsbestand ist durch die Landesordnungen gewährleistet.
In ihrer Eigenschaft als Selbstverwaltungskörper (Kommunalverbände) oberster
Ordnung, sowie als Träger von Vermögensrechten steht den Ländern Persönlichkeit
im Rechtssinne zu. Sie sind mit der zur Durchführung ihrer Verwaltungsaufgaben
erforderhchen Auflagengewalt ausgestattet und überwachen die ilmen unterstellten
Selbstverwaltungskörper, die Bezirke und Gemeinden. Dieser Geschäftskreis
wird durch das Reichsgericht vor Eingriffen geschützt. Die Landtage sind aber
nicht nur die obersten Organe der Selbstverwaltung der Länder, sondern zugleich
als parlamentarische Vertretung der Landeseinwohner ziir IVIitwirkung bei der
Gesetzgebung in allen nicht dem Reichsrate vorbehaltenen Angelegenheiten^)
berufen; dadurch unterscheiden sie sich von aUen Konmiunalverbänden höherer
Ordnung.
Schon im Hinblicke auf die verfassungsmäßigen Garantien ihres Bestandes
und die Mitwirkung der Landtage bei der Gesetzgebung dürfen die Länder nicht
etwa alsProvinzen angesehen werden. Denn Pro\änzen sind vom Willen des
Staates abhängige Abteilungen des Staatsgebietes zu Verwaltungszwecken; der
Staat kann ilu- Gebiet nach Gutdünken ändern, er kann sie aufheben oder mit
anderen Provinzen vereinigen. Nicht so die österreichischen Länder. Ihnen gewährt
die Verfassung eine besondere staatsrechtliche Stellung, so wenig ihnen auch im
übrigen Eigenstaatlichkeit zukommt.
») Vergl. S. 91.
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Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918