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XIY. Bosnien und die Herzegowina. 73
Abgaben, die in Österreich und Ungarn nach paktierten Gesetzen gehandhabt
werden, und für das Münzwesen. Jede Änderung in dem bestehenden Verhältnisse
Bosniens und der Herzegowina zur Monarchie bedarf der übereinstimmenden
Genehmigung der österreichischen und der ungarischen Gesetzgebung.
Durch das kaiserliche Handschreiben vom 5. Oktober 1908 hat der Monarch
die Rechte seiner Souveränetät auf Bosnien und die Herzegowina erstreckt und die
für sein Haus geltende Erbfolgeordnung auch für diese Länder in Wirksamkeit
gesetzt. Mit der allerhöchsten EntschHeßung vom 17. Februar 1910 wurde ein
„Landesstatut" für Bosnien und die Herzegowina nebst einer Wahlordnung und
einer Geschäftsordnung für den Landtag, ein Vereins- und Versammlungsgesetz
und ein Gesetz über die Bezirksräte erlassen. Sie bilden zusammen die „Ver-
fassung" Bosniens und der Herzegowina.
Völkerrechtlich ist die Annexion dadurch geregelt worden, daß die Türkeigegen
die Einräumung gewisser anderweitiger Vorteile in die Aufhebung der Konvention
vom 21. April 1879 einwilligte und auch die übrigen Signatarmächte des Berüner
Vertrages den neuen Zustand anerkannten.
Durch das Landesstatut werden Bosnien und die Herzegowina „als ein ein-
heitlichesbesonderesVerwaltungsgebiet" erklärt. Als Seitenstückderösterreicliischen
und der ungarischen Staatsbürgerschaft besteht eine besondere bosnisch-
herzegowinische Landesangehörigkeit. Den Landesangehörigen wird eine Reihe
vonFreiheitsrechten zuerkannt, welche dendurch das österreichische Staatsgrund-
gesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger gewäln-leisteten nachgebildet
sind. Zur Mitwu-kung an der Landesgesetzgebung wird ein Landtag berufen, der
auseiner Anzahlvon„Virihsten"und 72gewähltenAbgeordneten besteht.DieWahl-
ordnung beruht auf dem Grundsatze der Interessenvertretung. Es bestehen drei
Wählerklassen(Großgrundbesitz, Städte-undLandgemeinden)undin jederderselben
sind dieMandateaufdiedreiHauptkonfessionen(Katholiken, Islamitenund Serbisch-
Orthodoxe) aufgeteilt. Der Wirkungskreis des Landtages umfaßt die ausschließlich
bosnisch-herzegowinischen Angelegenheiten, also nicht auch jene, welche in die
Kompetenz der Delegationen oder (nach dem Gesetze vom 22. Februar 1880) des
österreichischen und ungarischen Parlamentes fallen, die Wirtschaftsgemeinschaft
oder die Wehrmacht betreffen. Auch das Budgetrecht hinsichtüch des Landes-
haushaltes besitzt der Landtag. Zur Beratung der Landesregierung^) ist ein neun-
ghedriger Landesrat bestimmt. Zur Teilnahme an der Bezirksverwaltung sind die
ehrenamtlich durch Wahl gebildeten Bezirksräte berufen.
Wie ist die Stellung desgemeinsamenVerwaltungsgebietes inderösterreichisch-
ungarischen Monarchie staatsrechtlich zu beurteilen?
Schon durch das oben angefühlte Verwaltungsgesetz von 1880 ist das ur-
sprüngüch völkerrechthche Verhältnis Bosniens und der Herzegowina in ein staats-
rechtliches umgewandelt worden. Die Herrschergewalt des Kaisers war den okku-
pierten Ländern gegenüber bis zur Erlassung des Landesstatuts für Bosnien und
die Herzegowina im Jahre 1910 absolut. Seither ist sie in Angelegenheiten der
Landesautonomie konstitutionell geworden. In den im Sinne des Ausgleiches
1) Chef der Landesregierung ist der Korpskommandant von Serajewo; ihm steht für die
LeitungderVerwaltung ein Zrviladlatus zur Seite; als Unterinstanzen bestehen sechs Kreisbehörden
und 54Bezirksämter, die in minderenAngelegenheiten zugleich die Gerichtsbarkeit in ersterInstanz
ausüben. Darüber stehen sechs Kreisgerichte und das Obergericht in Serajewo.
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Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918