Seite - 81 - in Österreichische Bürgerkunde
Bild der Seite - 81 -
Text der Seite - 81 -
XVII. Der Konstüutionalismus. 81
nach den gleichen Grundsätzen ein (subsidiäre kognatische Thronfolge).
Mit der Geburt eines Sohnes in der neuen Herrscherfamilie tritt neuerdings die
agnatische Thronfolge ein.
IVIit dem Tode oder dem Verzichte des Vorgängers geht der Thron von selbst
an den hiezu berufenen Thronfolger über. Beim Antritte der Kegierung leistet der
Kaiser in Gegenwart beider Häuser des Reichsrates das eidliche Gelöbnis: „Die
Grundgesetze der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder unverbrüch-
lich zu haltenund in Übereinstimmung mit denselbenundden allgemeinen Gesetzen
zu regieren"^).
XVII. Der Konstitutionalismus.
I.Begriff und Ursprung.
Im Verfassungsstaate tritt dem Monarchen als zweites unmittelbares Staats-
organ eineVolksvertretung zur Seite, um an der Gesetzgebung teilzunehmen und
die Verwaltung zu kontrollieren. Die modernen Verfassungen beruhen auf dem
Repräsentativgedanken^). Mit einem der englischen Sprache entnommenen Worte
wird die zur Vertretung des Volkes berufene Versammlung Parlament genannt.
Als Konstitutionalismus oder Parlamentarismus bezeichnet
man den Inbegriff der Grundsätze, auf welchen die Stellung der Pai'lamente und
ihr Einfluß auf das Staatsleben beruht^). Sie sind nicht durchaus gesetzlich fest-
gelegt, sondern bestehen zum Teil aus Regeln der pralrtischen Politikund aus theo-
retischenLehrmeinungen.AberfürdasVerständnisderVerfassungunddespolitischen
Lebenskommen alle diese GrundsätzeinihreminnerenZusammenhange in Betracht.
Deswegenwerden sie hier besprochen, bevor inden nächstfolgenden beiden Kapiteln
dasgeltendeRecht derparlamentarischenVertretungskörperÖsterreichs, desReichs-
rates und der Landtage, dargestellt wird^).
Der moderne Konstitutionahsmus hat einen doppelten Ursprung. Der eine
liegt in der geschichtlichen Entwickelung der Staaten, der andere in derBewegung
der Geister, welche die politischeEntwickelung einleitetund begleitet. DerÜbergang
vom Ständewesen zum Konstitutionalismus ist bereits im V. Kapitel besprochen
worden^). Nur in England hat sich dieser Übergang dm'ch eine ununterbrochene
Entwickelungvollzogen. DaherdientedieenglischeParlamentsverfassungdenandern
Staaten Europas zum Vorbild, als sie, von dem Streben nach politischer Freiheit
und Selbstbestimmung der Völker geleitet, ihre Verfassungen schufen. Vermittelt
wurde diesesVorbild durch die politische Literatur jener Zeit; besonders die Dar-
stellung der englischenVerfassung in Montesquieu's berühmtem Werke „Über
den Geist der Gesetze" hat großen Einfluß auf die Verfassungsgesetzgebung der
kontinentalen Staaten aussreübt.
1) In Ungarn gilt die Königskrönung als Bedingung für die volle Ausübung der königlichen
Gewalt.— ^) Vergl. unten S. 82.— ^)Das Idealbild des Konstitutionalismus, das unterdem Einflüsse
liberaler Anschauungen während der Verfassungskämpfe des 19. Jahrhunderts entstanden ist,
pflegt man die konstitutionelle Doktrin zu nennen. Sie enthält eine theoretische
Konstruktion des Konstitutionalismus und ist „doktrinär" auch darin, daß sie nach Art des
Naturrechtes, dasan ihrerWiege gestanden, auf die historisch gegebenenVerhältnisse der einzelnen
Staaten nicht oder zu wenig Rücksicht nimmt, deren Verfassung sie nach jenem Idealbild aus-
zulegen versucht.— *) Die Stellung, die der Kaiser nach der österreichischen Verfassung, also als
konstitutionellerMonarch,einnimmt, erhelltausdemvorhergehendenKapitel— *) Vergl.oben S. 32.
Rauchbor 5, Bürgerkunde. 6
zurück zum
Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918