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XIX. Die Landtage. 101
die Reichsvertretung bestimmen zwar die Formen des Parlamentarismus, aber
sein Inhalt und seine Leistungen sind durch die Parlamentsparteien gegeben.
Nur im Herrenhause lebt noch der alte Gegensatz zwischen liberal
und konservativ, Zentralismus und Föderalismus in der Parteiorganisation fort. Die
ersteren Richtungen werden durch die ,,Verfassungspartei", die letzteren durch die
„Gruppe der Rechten"^) vertreten, während die „Mittelpartei" die zentralistisch-
konservative Richtung einhält.Von den285Mitgliedern des österreichischen Herren-
hauses gehörten Ende 1910 118 der „Gruppe der Rechten", 58 der ,,Mittelpartei"
und 64 der ,,Verfassungspartei" an. Die 16 Erzherzoge und 19 andere Mtglieder
sind keiner Partei beigetreten. 5 Mitglieder haben bisher die Angelobung unter-
lassen, 5 andere waren Reichsratsabgeordnete.
ImAbgeordnetenhause bleibt die Nationalität der Haupteinteilungs-
grund für die Parteien. Nur die sozialdemokratische Partei, als dieVertreterin der
bei allen Volksstämmen ziemlich gleichartigenArbeiterinteressen, bildet hierin eine
Ausnahme ; sie vereinigt Angehörige verschiedener Nationalitäten, die sich jedoch
innerhalb des Rahmens der sozialdemokratischen Partei zu nationalen Unterver-
bänden zusammengeschlossen haben. Die bürgerlichen Parteien umfassen also
durchaus Angehörige gleicher Nationalität. Zum Teü sind sie in einem einzigen
Parteiverbande geeint, zum Teil zerfallen sie je nach der pohtischen und wirtschaft-
lichen Richtung in verschiedene Verbände, die jedoch in nationalen Dingen
zusammenhalten. Aus dieser Durchkreuzung nationaler, politischer und wirtschaft-
licher Gesichtspunkte ergibt sich eine weitgehende Zersplitterung der Parteien.
Das erschwert die Bildung einer dauernden Mehrheit auf Grund eines klaren
Progi^ammes und weiterhin eines von dieser Mehrheit unterstützten, wenn auch
gerade nicht aus ihr entnommenen Ministeriums zur Durchführung eines solchen
Programmes.
Da die Ergebnisse der Reichsratswählen von 1911 zu der Zeit, wo dieses Buch
gedruckt wird, noch nicht bekannt sind, wird in der Tabelle 14 des Anhanges die
Anzahl der Stimmen, die bei den Reichsratswahlen von 1907 auf die einzelnen
nationalen Parteien des Abgeordnetenhauses und auf die nationalen Gruppen der
sozialdemokratischen Partei entfielen, mit Unterscheidung der städtischen und
ländhchenWahlbeznke nachgewiesen. In der ersten Spalte dieserTabelle findet sich
auch die Anzahl und Parteistellung der 1907 gewählten Abgeordneten nach den
gleichen Gesichtspunkten angegeben.
XIX. Die Landtage.
Die gegenwärtige Stellung der Landtage beruht auf den Landesordnungen und
denLandtagswahlordnungen, die für die einzelnenim Reichsrate vertretenen Länder
in der Form von Beüagen zum kaiserlichen Patente vom 26. Februar 1861 er-
lassen und durch spätere Landesgesetze mehrfach und in verschiedener Richtung
abgeändert worden sind^). Darnach haben die Landtage eine doppelte Aufgabe zu
erfüllen: als parlamentarische Vertretungen der Landeseinwohner sind sie zur Mit-
^) Da die Sitze der fortschrittlichen Parteien in der Regel links, die Sitze der Konservativen
rechts im Saale gelegen sind, pflegtman die ersteren als die
, .Linke", die letzteren als die ,,Rechte"
(d. h. Seite oder Partei) zu bezeichnen. So auch im österreichischen Reichsrate. — *) Vergl. über
den staatsrechtlichen Charakter der Länder die Bemerkungen auf S. 69.
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Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918