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XX. B.ehördenorganisation und öffentlicher Dienst. 109
Form eigener Statute ihre besondere Ordnung^); für alle andern Gemeinden
wurden in den Jahren 1863 bis 1886GemeindeordnungenundGemeinde-
wahlordnungen in der Form von Landesgesetzen erlassen^).
Die Geraeindeordnungen stellen die Ortsgemeinde als einen auf dem G e-
raeindegebiete beruhenden Personenverband auf^). Jede Liegenschaft muß
dem Verbände einer Ortsgemeinde angehören^). Die Gemeindemitglieder zerfallen
in zwei Gruppen: Gemeindeangehörige sind diejenigen, die in der Ge-
meinde das Heimatrecht besitzen ; sonstige Personen, die in der Gemeinde wohnen
und Steuer zahlen oder doch daselbst Haus- oder Grundbesitz haben oder ein Ge-
werbe versteuern, sind Gemeindegenossen. AUe anderen gelten als Aus-
wärtige ; aber auch die Auswärtigen dürfen, so lange sie unbescholten sind und der
öffentlichen IVIildtätigkeit nicht zurLast fallen, aus derGemeinde nicht ausgewiesen
werden.
Das H e im a t r e c h t ist der Ausdruck der engeren wirtschaftlichen und
gesellschaftlichen Zugehörigkeit der Gemeindeangehörigen zur Gemeinde. Es
gewährt das Recht auf unentziehbaren Aufenthalt und auf Ai-menVersorgung.
Dahermuß jeder Staatsbürger in einer Gemeinde des Staatsgebietes heimatberech-
tigt (zuständig) sein; mehrfache Heimatsberechtigung ist ausgeschlossen. Die
Erwerbung des Heimatsrechtes setzt die österreichische Staatsbürgerschaft voraus.
Ehefrauen teilen das Heimatsrecht des Mannes, eheliche Kinder folgen darin dem
Vater, uneheliche der Mutter; im übrigen wird das Heimatsrecht durch Anstellung
im öffentlichen Dienste oder durch ausdrückliche Aufnahme in den Heimatsverband
erworben. Dieselbe kann nicht versagt werden, wenn der Bewerber sich mindestens
zehn Jahre ununterbrochen freiwillig und ohne der Armenfürsorge anheimzufallen
in der Gemeinde aufgehalten hat (sogenannte Ersitzung des Heimatsrechtes)^
Auch seine RechtsnachfolgerimHeimatsrechteund seine bisherige Heimatsgemeindc
können diesen Anspruch geltend machen.
Ähnlichwie die RechtsstellungderBürgerim Staateaufder Staatsbürgerschaft^),
beruht das Verhältnis zur Gemeinde auf der Gemeindemitgliedschaft. Aus üir ent-
springen mannigfache Verpflichtungen und Berechtigungen, die nur zum Teile
vom Rechte erfaßt sind. Daneben bestehen noch andere, tiefere Beziehungen des
sittlichen und Gemütslebens. Landschaftsgefühl und geschichtliches Bewußtsein,-
Famüie, Beruf und geistige Interessen, die ganze Umwelt, die uns herangebildet
hat, binden uns mit tausend Fäden an die engere Gemeinschaft der Gemeinde wie
an die weitere des Heimatlandes und des Staates®). Sie bestimmen uns zu einer
freiwilligen Treue und Hingabe, die weit über das gesetzlich geforderte IVIindestmaß
hinausgeht, um so mehr aber jeden zur genauen Erfüllung der gesetzlichen Ver-
pflichtungen der Gesamtheit gegenüber veranlassen müssen.
1) K. L am p. Das Problem der städtischen Selbstverwaltung nach österreichischem
und preußischem Rechte. Leipzig 1905. — *) Die Anzahl der Gemeinden and Ort-
schaften eines jeden Landes wird in Tabelle 1 des Anhanges ausgewiesen. — ^) Im
Gegensatze dazuwar die alteDorfgemeinde auch eine in den Wirtschaftsbetrieb derDorfgenossen
tiefeingreifendeWirtschaftsgemeinschaft. Über dieZusammenhängemit derAgrarverfassung unter-
richten die ausgezeichneten Werke von Dr. Wa 1 1 e r Schiff, Die Österreichische Agrarpolitik
seit der Grundentlastung. Tübingen 1897 und Grundriß des österreichischen Agrarrechtes. Leip-
zig 1903.— *) Ausgenommen sind die kaiserlichen Residenzen und— auf Grund von Landes-
gesetzen— in Galizien und in der Bukowina die vormals herrschaftlichen Güter.— *) Vergl. das
XXIIL Kapitel, S. 120 ff. — «) Vergl. auch die Ausführungen auf S. 121.
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Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918