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Fünfter Teil.
Land und Leute.
XXI. Das Staatsgebiet.
Der Staat beruht auf der Herrschaft über das Gebiet, auf dem das Staatsvolk
ansässig ist. Nur ein seßhaftes Volk vermag einen Staat zu bilden. Aus der Aus-
dehnung, Lage und geographischen Beschaffenheit des Staatsgebietes ergeben sich
die Daseinsbedingungen, die Interessen und Pläne der Staaten, die äußeren Wider-
stände bei ihrer Verwirklichung, die Angriffe anderer Staaten, kurz das was den
Charakter und die geschichtliche Aufgabe der Staaten ausmacht. Auch die poli-
tische Einheit, die geschichtliche Sendung und die wirtschafthchen Interessen
der österreichisch-ungarischen Monarchie beruhen auf geographischer Grundlage.
Den Einfluß der geographischen Bedingungen auf den Staat, auf seine Bevölkerung
und Volkswirtschaft zu untersuchen, müssen wir der Geographie überlassen.^)
Wir haben hier lediglich die rechtliche und politische Bedeutung des Staats-
gebietes zu erörtern.
Die Gebietshoheit des Staates besteht in der Herrschaft über die im
Staatsgebiete befindlichen Personen und durch die Personen auch über die Sachen.
Sie schheßt die Ausübung jeder anderen Staatsgewalt, sogenannte Staatsservituten
ausgenommen, aus. Anderseits sind nach völkerrechtlichen Grundsätzen gewisse
Angehörige fremder Staaten, wie z. B. ihre Oberhäupter, ihre diplomatischen
Vertreter samt Famüie usw. von der Gebietshoheit ausgenommen ; solche Personen
gelten als exterritorial. Auch haben sich die christlichen Großmächte
durch besondere Verträge (sogenannte Kapitulationen) die Gerichtsbarkeit und
sonstige Herrschaftsbefugnisse hinsichtlich ihrer Angehörigen in orientalischen
Ländern vorbehalten und sie der Gewalt des Staates, in dem sie sich aufhalten,
im gleichen Maße entzogen. Zum Staatsgebiete werden auch die durch die Flagge
zukennzeichnenden SchiffeundderKüstenstreifendesMeeres bisaufKanonenschuß-
weite gerechnet. Das übrige Meer ist frei.
In politischer Hinsicht bildet das Staatsgebiet eine derwichtigstenVoraus-
setzungen für die Ausbildung der Staatsmacht: für die Volkszahl und die wirt-
schaftliche und kriegerische Leistungsfähigkeit der Bevölkerung wie des Staates.
Die Geschichte der Neuzeit wird durch die Ausbildung von Großstaaten
^) Vergl. Fr. Ratzel, Politische Geographie oder die Geographie der Staaten, des
Verkehres und des Krieges, 2. Aufl., München 1903; auch desselben Verfassers
Anthropogeographie, I. Band, Grundzüge der Anwendung der Erdkunde auf die Geschichte,
3. Aufl., Stuttgart 1909. II. Band, Die geographische Verbreitung des Menschen, 2. Aufl.;
Stuttgart 1891. Zur Einführung in die Wirtschaftsgeographie wird empfohlen Karl Andree's
Geographie des Welthandels, neue Ausgabe von Fr. H e id er ich und R.Sieger;
der erste Band dieses Werkes (Frankfurt a. M., 1910) enthält auf S. 421—580 die Wirt-
schaftsgeographie von Österreich-Ungarn. Vergl. auch Fr. Umlauft, Die Österreichisch-
ungarische Monarchie, 3. Aufl., Wien 1897.
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Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918