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128 XXVII. Die Glaubensfreiheit.
Weitere Folgerungen aus dem Grundsatze der wirtschaftlichen Freiheit des Grund-
besitzes wurden durch die liberale Agrargesetzgebung in dem dritten Viertel des
vorigen Jahrhunderts gezogen. Hievon wird späterhin bei der Darstellung der
AgrarVerfassung die Rede sein.^)
Die volle Bedeutung der gi'undgesetzlich anerkannten wirtschaftlichen Frei-
heit erhellt allerdings erst aus der verwaltungsrechtlichen Ordnung des Wirt-
schafts- und Erwerbslebens. Erst wenn wir später darauf zu sprechen kommen,
können die Vorteile und Nachteile einer auf Freiheit des Eigentums und der Ver-
tragsschließung beruhenden Wirtschaftsordnung erwogen werden.^) Hier mußten
wir uns auf jene Grundsätze besclu'änken, die in der Verfassung festgelegt sind.
XXVII. Die Glaubensfreiheit.
In dreifacher Richtung sichert das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen
Rechte der Staatsbürger die g e i s t ig e Freiheit: die Freiheit des Glaubens
und Gewissens, die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung und Lehre, die Frei-
heit der Meinungsäußerung, insbesondere durch die Presse. Im Zusammenhang
mit der Glaubensfreiheit wü'd auch das Verhältnis des Staates zur Kirche gi'und-
sätzlich geregelt.
Der in die österreichische Verfassung aufgenommene Grundsatz individueller
Glaubens- und Gewissensfreiheit hat sich verhältnismäßig erst
spät entwickelt. Er steht imWiderspruch zur Einheit von Staat und Kirche, die
das ganze Mittelalter hindurch galt. Die Anerkennung einer einzigen Kirche bedingt
die Ausschließung aller anderen Religionsgemeinschaften und daher auch den
Glaubenszwang. Daran hat die Reformation zunächst nichts geändert, denn
auch die protestantischen Landesku'chen waren Zwangskh'chen und der Staat
-duldete kein anderes Bekenntnis als jenes der herrschenden Staatskirche. Der
Gedanke, daß der religiöse Glaube vom Staate nicht beirrt werden dürfe, daß
*r mit gehöre zur staatsfreien Lebenssphäre, ist auf dem Boden Amerikas er-
wachsen.Um der Freilieit des Glaubens wülenhatten die puritanischenAuswanderer
ihre alte Heimat mit der neuen in Amerika vertauscht und hier entmckelte sich
die Glaubens- und Gewissensfreiheit zum Verfassungsgrundsatze. Seine Über-
tragung nach Europa ist durch die Aufklärungsphilosophie und den Humanitäts-
gedanken des 18. Jahrhunderts vorbereitet worden. Sie führten zunächst zur
^,Toleranz", zur Duldung anderer Bekenntnisse und weiterhin, wie in anderen
Staaten, so auch in Österreich zurgrundgesetzlichen Anerkennung
der Glaubens- und Gewissensfraiheit.
Dadurch wird jeglicher Glaubenszwang sowohl seitens des Staates als auch
der Kirche ausgeschlossen. Es folgt der weitere, auch in der österreichischen Ver-
fassung anerkannte Satz, daß der Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte
von dem Glaubensbekenntnisse unabhängig ist; jedoch darf den staatsbürgerhchen
Pflichten durch das Glaubensbekenntnis kein Abbruch geschehen. Niemand kann
zu einer kirchlichen Handlung oder zur Teilnahme an einer kirchlichen Feierlich-
keit gezwungen werden, insofern er nicht der nach dem Gesetze hiezu berechtigten
Gewalt eines andern untersteht. Eine solche liegt insbesondere in dem den Eltern
1) Vergl. das XLHI. Kapitel.— ^) Veigl. das XHI. Kapitel, Punkt 2.
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Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918