Seite - 129 - in Österreichische Bürgerkunde
Bild der Seite - 129 -
Text der Seite - 129 -
XXVII. Die Glaubensfreiheit. 129
und Vormündern zustehenden Erziehungsrechte, sowie in den gesetzlichen Be-
fugnissen der Schulbehörden^).
Die Folgerungen, die sich aus dem Grundsatze der Glaubensfreiheit für das
gegenseitige Verhältnis der ReligionsgeseUschaften ergeben, sind durch das Gesetz
vom 25. Mai 1868 über die interkonfessionellen Verhältnisse
der Staatsbürger gezogen worden. Das Gesetz läßt jedermann nach voUendeteni
14. Lebensjahre die freie Wahl des Religionsbekenntnisses nach seiner eigenen
Überzeugung. Die Lebensgemeinschaft der Famüie und die Wichtigkeit der Re-
ligion für die Erziehung bedingen es, daß die Kinder die Religion der Eltern teilen.
Gehören beide Eltern demselben Bekenntnisse an, so folgen bis zum vollendeten
7. Lebensjalu'e die ehelichen Kinder der Religion der Eltern; bei gemischten Ehen
folgen, wofern vertragsmäßig nichts anderes bestimmt ist, die Söhne der Religion
des Vaters, die Töchter der Religion der Mutter. Vom 7. bis zum vollendeten
14. Jahre ist der Glaubenswechsel ausgeschlossen. Reverse an dritte Personen
überdas Glaubensbekenntnis, inwelchemdieKindererzogenund unterrichtet werden
soUen,sindwirkungslos. Funktionendes Gottesdienstes und der Seelsorge dürfen an
AngehörigeneinesanderenBekenntnisses nur über berechtigtes Ansuchen verrichtet
werden. Zu Beiträgen für Kultus- und Wohltätigkeitszwecke einer ihm fremden
Konfession kann niemand verhalten werden, außer es bestünden besondere Ver-
pflichtungsgründe. Ferner wird unter gewissen Voraussetzungen die anständige
Beerdigung auf den Friedhöfen anderer Konfessionen gesichert und die Feier
von Sonn- und Festtagen dahin geregelt, daß wechselseitig sowohl Nötigung
als auch Beeinträchtigung ausgeschlossen sind.
Hand in Hand mit der Sicherung der Glaubensfreiheit geht die Neugestaltung
desVerhältnisses zwischen Staat und Kirch e^).Da die Religion
als sittliche Kraft auch das äußere Verhalten der Menschen beeinflußt, sind die
auf der Gemeinsamkeit des Glaubens beruhenden Vereinigungen gesellschaftliche
Mächte, zu denen der Staat Stellung nehmen muß. Staat und Kirche verfolgen
beide in ihrer Art höchste, aber in ihren Zielen verschiedene Menschheitsaufgaben.
Die Gewalt, die sie über die Menschen ausüben, ist verschiedenen Ursprungs,
die Autorität des einen unabhängig von der Autorität des andern. Die mannig-
fachen Berührungspunkte, die sich bei ihrem Walten ergeben, sind je nach den
besonderen geschichtlichen Voraussetzungen in verschiedenen Ländern und zu
verschiedenen Zeiten verschieden geregelt worden. Für die Gegenwart lassen sich
drei Typen oder Systeme unterscheiden, nach welchen das Verhältnis des
Staates zur Kirche geregelt ist: das Koordinationssystem, das System staatlicher
Kirchenhoheit und die sogenannte Trennung von Kirche und Staat.
Das Koordinationssystem geht, wie schon der Name andeutet,
von der Nebenstellung von Staat und Kirche aus. Staat wie Kirche sind dem-
nachaufsichselbstgestellteMächtemitbesonderenAufgabenundbesonderenRechts-
kreisen. Wofern dieselben einander schneiden,werden die gegenseitigenBeziehungen
1) Vergl. M. V. H u s s a r e k, Grundriß des Staatskirchenrechts. Aus „Grundriß des österr.
Rechts". 2. Aufl. Leipzig, 1908. — *) Vergl. P. Hinschius: Allgemeine Darstellung der
Verhältnisse von Staat und Kirche. Aus „Handbuch des öffentlichen Rechtes". I. Bd. Freiburg
i. B., 1883. K. R th e n b ü c h e r, Die Trennung von Staat und Kirche. München, 1908.
Derselbe, Wendungen in dem Verhältnisse von Staat und lürche in neuerer Zeit. Jahrbuch
des öffentl. Rechtes. III. Bd., S. 336 ff.
Rauchberg, Bürgerkunde. 9
zurück zum
Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918