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146 XXXIII. Die richterliche Gewalt u. s.w.
oder abzuändern. Die Handhaben, welche den Parteien gegeben sind, um dies zu
bewirken, werden Rechtsmittel genannt.
Die nunmehr für alle Instanzen staatsgrundgesetzlich festgelegte Trennung
der Justiz von der Verwaltung ist in der Gerichtsorganisation Öster-
reichsnurschrittweisedurchgeführtworden. DenAusgangspunkt hiefürundzugleich
für die Einheit der Rechtsprechung und Justizverwaltung bildet die Gründung der
„Obersten Justizstelle" für sämtliche Gerichte Österreichs im Jahre 1749, welche
die Funktionen eines Obersten Gerichtshofes mit jenen des Justizministeriums
vereinigte. Erst 1848 wurden die Geschäfte der Justizverwaltung abgelöst und
von dem neu errichteten Justizministerium übernommen. 1850 entstand der
Oberste Gerichtshof als die höchste Instanz der Rechtsprechung. In der zweiten
Instanz wurde die Rechtsprechung von der Verwaltung im Jahre 1782 durch die
Gründung der Appellationsgerichte gesondert. Für die unterste Instanz war diese
Sonderung zwar in der Justizorganisation von 1849 vorgesehen; allein das
Kabinetschreiben vom 31. Dezember 1851, „betreffend die für die organische
Gesetzgebung des Reiches festgestellten Grundsätze", verfügte die Vereinigung
von Justiz und Verwaltung in der ersten Instanz (in den sogenannten gemischten
Bezirksämtern). Erst 1868 ist der Weisung der Verfassung durch Schaffung der
Bezirksgerichte und durch die Neuorganisation der politischen Behörden allent-
halben Rechnung getragen worden. Die Ausübung der Gerichtsbarkeit und die
Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte in bürgerlichen Rechtssachen wird durch
das Gesetz vom 1. August 1895, R. G. Bl. Nr. 111 (Jurisdiktionsnorm) die Be-
setzung, innere Einrichtung und Organisation der Gerichte durch das Gesetz
vom 27. November 1896 (Gerichtsorganisationsgesetz) geregelt. Die Bestimmungen
über die ordentliche Gerichtsbarkeit in Strafsachen sind in der später zu erörtern-
den Strafprozeßordnung vom 23. Mai 1873 enthalten^).
In erster Instanz entscheiden in den minderen Sachen, die vom Gesetze
erschöpfend aufgezählt werden, die Bezirksgerichte, in den größeren und aUen
nicht ausdi'ücklich den Bezirksgerichten zugewiesenen Angelegenheiten die Kreis-
oder Landesgerichte; die letzteren haben üiren Sitz in den Landeshauptstädten,
unterscheiden sich aber sonst durch nichts von den Kjeisgerichten^). Bei den
Bezirksgerichten entscheiden EinzeMchter, die Kreis- und Landesgerichte sind
Kollegialgerichte.
Der Rechtszug von den Bezirksgerichten geht an die fceis- oder Landes-
gerichte; der Rechtszug gegen die von diesen (sowie von den Handelsgerichten)
gefällten Urteüe und Beschlüsse geht in zweiter Instanz an die Oberlandesgerichte,
deren es im ganzen neun gibt. Als dritte Instanz fungiert der Oberste Gerichts-
hof in Wien; dadurch, daß für sämtliche Gerichte eine gemeinsame oberste
^) In einem weiteren Sinne gehören zur Gerichtsverfassung außer dem bereits auf S. 144
erwähnten Gesetz über die Disziplinarbehandhing der richterlichen Beamten auch die Be-
stimmungen über das Standesrecht der zurMitwirkung bei der Rechtspflege und zur berufsmäßigen
Vertretung der Parteien vor Gericht berufenen Personen: der Advokaten und Notare.
Für die ersteren gilt die Advokatenordnung von 1868 und das Disziplinargesetz für Advokaten
und Advokaturskandidaten, für die letzteren die Notariatsordnung von 1871. Zur Wahrung
der Standespflichten und der Standesinteressen der Advokaten und Notare sind für die ersteren
die A^dvokatenkammern, für die letzteren die Notariatskammern als berufsgenossenschaftliche
Selbstverwaltungskörper berufen. — *) Vergl. jedoch Anm. 1 auf S. 152.
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Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918