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Österreichische Bürgerkunde
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XXXV. Strafrecht und Strafprozeß. 155 Nicht das ganze Strafrecht ist in dem allgemeinen Strafgesetz und den straf- rechtlichen Nebengesetzen enthalten, die seine Ergänzung bilden. Sie behandeln nur jene Delikte, die den ordentlichen Gerichten zur Aburteilung überwiesen sind. Aber auch andere Rechtsgebiete bedürfen der Sicherung durch Strafandrohungen. Hier ist in erster Linie zu nennen das Militärstrafrecht, dessen Aus- scheidung aus dem allgemeinen Strafrechte durch die besonderen Erfordernisse undBedingungen des Militärdienstes und der militärischen Disziplin gerechtfertigt ist; es wird geregelt durch das Militärstrafgesetzbuch vom 15. Jänner 1855. Die Übertretung der Gesetze über die indirekten Steuern wird von besonderen Stellen (den Gefällsgerichten) nach dem Strafgesetzbuch über Gefällsübertre- tungen vom 11. Juli 1835 bestraft. Die direkten Steuergesetze enthalten ihr eigenes Strafrecht, das von den mit der Steuerveranlagung betrauten politischen Behörden gehandhabt wird. DasPolizeistrafrecht entbehrt bis jetzt einer einlieitlichen Regelung. Es ist in zahlreichen Verwaltungsgesetzen und Ver- ordnungen enthalten. Die Verhängung der Strafen steht in Sachen der Orts- polizei den Gemeindevorstehern, im übrigen den politischen und Polizeibehörden zu. Das Disziplinarstrafrech t^) entbehrt einer modernen und ent- sprechenden Regelung. Seine Reform ist im Zusammenhange mit einer „Dienst- pragmatik" der Staatsbeamten im Zuge. Was für das materielle Strafrecht Österreichs erst angestrebt wird, eine den modernen Anforderungen entsprechende Neugestaltung, ist für den Straf- prozeß, soweit er sich vor den ordentlichen Gerichten abspielt, durch die Straf- prozeßordnung vom 23. Mai 1873 verwirklicht. Sie beruht auf dem französischen Code d'instruction criminelle von 1808und hat an die Stelle des alten Inquisitions- prozesses den von der Verfassung vorgeschriebenen Anklageprozeß gesetzt^). Im Inquisitionsprozesse wird die Verfolgung von Amts wegen eingeleitet; der Inquisit ist nur Objekt der Untersuchung, nicht Prozeßpartei, die Verteidigung vieKach beschränkt; das Gericht entscheidet nach der Aktenlage und ist dabei an feste Beweisregeln gebunden. Anders im modernen Strafprozesse. Durch das Anklage- prinzip ist er zu einem Parteiprozeß geworden. Der Strafanspruch des Staates wird durch den Staatsanwalt vertreten. Nach dem Legalitätsprinzip ist er ver- pflichtet, alle strafbaren Handlungen, welche zu seiner Kenntnis kommen und nicht bloß auf Verlangen eines Beteiligten zu untersuchen und bestrafen sind (sogenannte Antragsdelikte) von Amts wegen zu verfolgen (Offizialdelikte) und daher wegen deren Untersuchung und Bestrafung durch das zuständige Gericht das Erforderliche zu veranlassen. Dem Staatsanwälte gegenüber hat auch der Beschuldigte, dem ein rechtskundiger Beistand als Verteidiger zur Seite steht^), die Stellung eines Prozeßsubjekts, dem in allen Stadien des Verfahrens Gelegen- heit zur Verteidigung gegeben ist. In der Regel findet zur vorläufigen Aufhellung des Sachverhaltes eine Voruntersuchung statt. In den Anklagezustand wird der Beschuldigte durch die bei dem Gericht eingebrachte Klageschrift des Anklägers versetzt, wofern nicht etwa seinem Einsprüche dagegen durch das Obergericht ^)Vergl. S. 113.— *)ImMilitärstrafverfahren giltnochder Inquisitionsprozeß. Diezahlreichen, zumTeil noch aus dem 18. JahrhundertstammendenVorschriften hierüberwurden 1884 unterdem Titel ,, Militärprozeßordnung" zusammengefaßt. Eine Reform derselben im modernen Geiste ist unabweislich undim Zuge.— ^)Dem Angeklagten, der nicht selbst einen Verteidiger gewählt hat, wird— außer in Ubertretungsfällen— ein solcher von Amts wegen bestellt.
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Österreichische Bürgerkunde
Titel
Österreichische Bürgerkunde
Autor
Heinrich Rauchberg
Verlag
Verlag von F. Tempsky
Ort
Wien
Datum
1911
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
16.4 x 24.0 cm
Seiten
278
Kategorien
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