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158 XXXVI. Das Verwaltungsverfahren und die Verwaltungsgeriehtsharlceit.
wenn der administrative Instanzenzug erschöpft ist. Er entscheidet nur kassa-
torisch: findet er die Beschwerde begründet, so hebt er den angefochtenen
Bescheid auf. Bei der neuerlichen Entscheidung in der gleichen Sache ist aber
die Behörde an die Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes gebunden;
insofern wirkt sie zugleich reformatorisch. Der Verwaltungsgerichtshof wird durch
das Gesetz vom 25. Oktober 1875 und einige spätere Gesetze geregelt. Er hat
seinen Sitz in Wien und besteht aus rechtsgelehrten Berufsrichtern, denen aBe
Privilegien der richterlichen Stellung zukommen.
Neben dem Verwaltungsgerichtshof fungiert als ein Spezialverwaltungs-
gerichtshof auchdas Reichsgericht. Ursprünglich gleichsam als ein gerichtlicher
Regulator des gesamten Verfassungslebens gedacht, entscheidet das Reichsgericht
,,überBeschwerdender StaatsbürgerwegenVerletzungderihnendurch dieVerfassung
gewährleisteten politischen Rechte, nachdem die Angelegenheitim vorgeschriebenen
administrativen Wege ausgetragen worden ist". Die Entscheidung des Reichs-
gerichtes beschränkt sich darauf, festzustellen, ob eine Rechtsverletzung statt-
gefunden hat oder nicht. Sie hat also weder kassatorische noch reformatorische
Wirkung. Sie Avirkt nur durch ihr moralisches Gewicht und beeinflußt zumindest
das weitere Verhalten der Verwaltungsbehörden.
Noch zwei andere Aufgaben hat das Reichsgericht zu erfüllen. Es entscheidet
über Ansprüche einzelner Länder an den Staat, der Länder untereinander, auch
über Ansprüche, welche von Gemeinden, Körperschaften oder einzelnen Personen
an den Staat oder einzelne Länder gestellt werden, wenn solche Ansprüche zur
Austragung im ordentlichen Rechtswege nicht geeignet sind.
Endlich entscheidet das Reichsgericht endgültig bei Kompetenzkonflikten.
Solche liegen dann vor, wenn die Entscheidung in derselben Sache von solchen
Behörden beansprucht (positiver Kompetenzkonflikt) odei' abgelehnt wird
(negativer Kompetenzkonflil^t), welche keine gemeinsame höhere Instanz über
sich haben. Um den Rechtsschutz durch solche Streitigkeiten nicht zu be-
einträchtigen, steht es dem Reichsgerichte zu, Kompetenzkonflikte zwischen Ge-
richten und Verwaltungsbehörden, zwischen einer Landesvertretung und den
obersten Regierungsbehörden, endlich zwischen den autonomen Landesorganen
(den Landesausschüssen) verschiedener Länder zu entscheiden. Zwischen allen
den genannten Behörden sind positive Kompetenzkonflikte vorgesehen, negative
nur zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden. Bei positiven Kompetenz-
konflikten steht es derVerwaltungsbehörde zu, ihre Zuständigkeit durch Erhebung
des Konfliktes und Antrag auf Entscheidung desselben beim Reichsgerichte zu
wahren; die Austragung eines negativen Kompetenzkonfliktes herbeizuführen ist
Sache der Partei, die durch die beiderseitige Ablehnung der Zuständigkeit be-
troffen wird.
Die politischen Absichten, die die Verfassung mit dem Reichsgericht verfolgt,
äußern sich in den Bestimmungen über seine Zusammensetzung. Es besteht aus
dem Präsidenten, seinem Stellvertreter, 12 Mitgliedern und 4 Ersatzmännern.
Der Präsident und sein Stellvertreter werdenvom Kaiser frei ernannt. Für die eine
Hälfte der Mitglieder und Ersatzmänner erstattet das Herrenhaus, für die andere
Hälfte das Abgeordnetenhaus Besetzungsvorschläge; für jede der zu besetzenden
Stellen werden drei sachkundige Männer bezeichnet; einen derselben ernennt der
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Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918