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194 XLIV. Das Gewerbe.
feste Grenze läßt sich jedoch nicht ziehen. Der Handel bringt die Güter durch
Kaum und Zeit zu den Konsumenten, ist aber auch oft mit der Produktion ver-
bunden.
Welchen Raum das Gewerbe in der Berufsgliederung Österreichs einnimmt,
ist aus der bereits mehrfach erwähnten Tabelle 10 des Anhanges zu entnehmen.
Wertvolle Aufschlüsse über die gewerbliche Betriebsorganisation Österreichs ver-
danken wir der gewerblichen Betriebszählung vom 3. Juni 1902^). Die wichtigsten
Zahlen über die Besetzung der einzelnen Gewerbeklassen und ihre Ausrüstung
mit Triebkräftenfinden sich in der Tabelle 22, die gleichenAngabenfür die einzelnen
Länder in der Tabelle 21 des Anhangs.
Die Grundsätze, auf welchen die rechtliche Ordnung des Gewerbewesens
beruht, insbesondere hinsichtlich der Bedingungen des Gewerbeantritts und des
Umfangs der Gewerbsbefugnisse bilden die Gewerbeverfassung. In
der Gewerbeverfassung Österreichs ringen die Grundsätze des Zunftsystems und
der Gewerbefreüieit um die Vorherrschaft. Als dritter leitender Gedanke gewinnt
der Arbeiterschutz immer stärkeren Einfluß. Der Zunftgedanke beherrschte die
mittelalterliche Gewerbeverfassung. Er vereinigte die Meister und die Gesellen
gleicher oder verwandter Gewerbe zu einer Gemeinschaft, die nicht nur die Be-
dingungen des Gewerbebetriebes regelte, sondern auch die sonstigen Lebens-
beziehungen umfaßte. Die Zünfte haben im Mittelalter viel zur Blüte des Hand-
werkes beigetragen. Als sie aber in den Stadtregimentern Einfluß erlangt hatten,
schlössen sie sich gegen Zuzug und Erneuerung ab; ihre Betriebsweise erstarrte
und ihre technische Leistungsfähigkeit ging zurück. Die auf die Entfaltung der
wirtschaftlichen Kräfte gerichtete Politik des Merkantilsystems^) beseitigte die
Selbständigkeit und Autonomie der Zünfte und begünstigte die Entstehung von
Gewerbebetrieben auJäerhalb der Zünfte durch landesfürstliche Privilegien und
durch Zulassung von „freien" Gewerben^). In der Zeit des ausgebildeten Absolutis-
mus standen Industrie und Handel, soweit sie über die Befriedigung örtlicher Be-
dürfnisse hinausgingen, bereits außerhalb des Zunftsystems. Unter dem Einflüsse
des Naturrechtes gewinnt der Gedanke Raum, daß die Zulassung zum Gewerbe-
betriebe und dessen Ausübung nicht weiter beschränkt werden sollen, als das
öffentliche Interesse es erfordert.
Nach mancherlei Schwankungen gelangte dieser Gedanke auch in der öster-
reichischen Gewerbeordnung vom 30. Dezember 1859 zum Durch-
bruch. Am 1. Mai 1860 ist sie für den ganzen Umlang der Monarchie (Venetien
und die damalige Militärgrenze ausgenommen) in Wirksamkeit getreten. Sie gab
die Ausübung derjenigen Gewerbe, die nicht aus öffentlichen Rücksichten an eine
Konzession gebunden wurden, für jedermann frei, bei welchem die allgemeinen
Bedingungen des selbständigen Gewerbebetriebes zutrafen. Diese Richtung ist
späterhin aufgegeben worden. Der Wunsch, die mittleren und kleinen Gewerbe-
betriebe vor der Konkurrenz der Großbetriebe und Verlagsgeschäfte zu schützen,
^) Die Ergebnisse der gewerblichen Betriebsaufnahme vom 3. Juni 1902 sind im LXXV.
Bande der
,, Österreichischen Statistik" veröffentlicht. Eine ausgezeichnete Darstellung derselben
aus der Feder von Dr. Walter Schiff findet sich im XXXIV. Jahrg. der „Statistischen
Monatsschrift".— *) Vergl. oben S. 44.— ») Vergl. Karl Pfibram : „Geschichte der öster-
reichischen Gewerbepolitik von 1740—1860", 1. Band, Leipzig 1907.
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Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918