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XLVI. Die soziale Fürsorge. 21
Zwangsversicherung. Alle in den betreffenden Gesetzen bezeichneten
Personen müssen versichert sein. Dadurch werden die Versicherungsprämien zu
einem Bestandteil des Arbeitslohnes und der gesellschaftlich notwendigen Pro-
duktionskosten. Im Preise der Waren oder Dienstleistungen werden sie in der
Regel schließlich auf die Konsumenten überwälzt. Darum ist es von minderen!
Belange, wie das Gesetz die Prämien zwischen den Dienstgebern und den Dienst-
nehmern aufteilt; auf jeden Fall bedeuten sie eine mittelbare Erhöhung der Löhne
verbunden mit Sparzwang für den Notfall. Die Renten der Alters- und Invaliden-
versicherung werden voraussichtlich durch einen Staatszuschuß erhöht werden.
Der Versicherungszwang legt dem Staate die Pflicht auf, für eine möglichst
zweckmäßige und wohlfeile Durchführung der Versicherung durch Zwangsorgani-
sationen zu sorgen; daneben können unter Umständen auch andere Versicherungs-
einrichtungen zugelassen werden, die den gesetzlichen Anforderungen genügen.
In der Regel aber entsprechen Zwangskassen deswegen am besten dem
Versicherungszwange, weil sie die Gesamtheit der Personen, die von der gleichen
Gefahr bedroht werden, zu einer einzigen Gefahrengemeinschaft zusammen-
schließen, in der die guten und die schlechten Risken einander ausgleichen. Dazu
noch die größere Wohlfeilheit und Verläßlichkeit einer umfassenden amtlichen
Organisation unter ehrenamtlicher paritätischer Beteiligung der beteiligten Dienst-
geber und Dienstnehmer.
Die Sozialversicherung wirkt nach zweiRichtungenhin vorbeugend. Zunächst,
indem sie die Versicherten davor bewahrt, der Armenpflege anheimzufallen und
die damit verbundene Minderung ihrer bürgerlichen Rechtsstellung zu erdulden,
dann aber auch, indem die Versicherungskassen selbst ein Interesse an der Be-
wahrung der Arbeitski'aft haben und auf die Verminderung der Unfalls-, Krank-
heits- und Invaliditätsgefahr hinwirken, die gestörte Arbeitskraft durch das Heil-
verfahren wieder herstellen helfen und auch ihre Deckungskapitalien in einer Weise
anlegen können, die den Bedürfnissen der Versicherten entspricht (Arbeiter-
wohnungen, Genesungsheime, Förderung hygienischer Anlagen u. s. w.).
Die Ära der Sozialversicherung wurde in Österreich eingeleitet durch die
Thronrede, womit Kaiser Franz Josef I.am 26. September 1885 den österreichischen
Reichsrat eröffnete^). In derselben wurden Reformen angekündigt, „welche einem
wirklichenBedürfnisse der Bevölkerung entsprechenund an Bedeutung die mannig-
fachen Parteikämpfe weit überragen". Von den verschiedenen Versicherungs-
zweigen ist die Unfalls- und Krankenversicherung derArbeiter, dann die Pensions-
versicherung der PrivatangesteUten bereits gesetzlich eingeführt ; die Alters- und
Invalidenversicherung in Verbindung mit einer Reform der anderen Zweige be-
findet sich in Vorbereitung. Die Bergarbeiter und deren Famiüenangehörige
besitzen von altersher in den Bruderladen eigene Einrichtungen, die durch
Provisionskassen für die Alters- und Invalidenversicherung, durch Kranken-
kassen für die Krankenversicherung sorgen^). Die Pensionsversorgung der Staats-
bediensteten ist bereits im XX. Kapitel unter 4 erwähnt worden^).
^) ImDeutschen Reiche ist sie angekündigt worden durch die sozialpolitische Botschaft
Kaiser Wilhehns I. vom 17. November 1881.— *) An den Provisionskassen der Bruderladen
waren 1908 177.783 vollberechtigte Äütglieder mit 331.807 Frauen imd Kindern beteiligt. Die
Ausgaben der Provisionskassen betrugen 11*5, jene der Krankenkassen 6*8 Millionen K. —
3) Vergl. oben S. 114.
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Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918