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220 XLVIII. Das Budgetrecht.
aufgestellt, umfaßt als „Erfordernis" sämtliche Auslagen und als „Bedeckung"
sämtliche Einnahmen, ohne daß der durch ihre Erzielung verursachte Aufwand
abgezogenwäre (Bruttobudget). DerVoranschlag istimAnschlüsse an die Ministerial-
ressorts in Kapitel, Titel, Paragraphen und weitere Unterabteilungen gegliedert;
sowohl die Ausgaben als auch die Einnahmen werden in ordentliche und außer-
ordentliche unterschieden^). Die weitgehende Gliederung des Voranschlages er-
möglicht es, bei der parlamentarischen Beratung auch in Einzelheiten einzudringen
und sie, wenn es darauf ankommt, durch besondere Abstimmungen zu entscheiden.
Vermöge der sogenannten Appropriation ist die Regierung an die Details des Vor-
anschlages gebunden, indem die Kredite nur für jene in den einzelnen Posten
des Voranschlages bezeichneten Zwecke verwendet werden dürfen, für welche
sie bewilligt wurden. Revirements, um Mehrausgaben durch anderweitige Er-
sparnisse auszugleichen, sinddarnach ausgeschlossen. Ist das Finanzgesetz zu Beginn
des Finanzjahres noch nicht zustande gekommen, so wird die Regierung durch
ein sogenanntes Budgetprovisorium für eine bestimmte Frist ermächtigt, die Steuern
fortzuerheben und die erforderlichen Staatsausgaben für Rechnung der im neuen
Voranschlage angesprochenen Kredite zu bestreiten. Das ist ein Notbehelf, der
aber bei der Weitwendigkeit der Budgetverhandlungen in Österreich fast zur
Regel geworden ist.
Die rechtliche Bedeutung des Finanzgesetzes besteht darin, daß die Regierung
der Verantwortlichkeit für eine Gebarung ledig ist, die dem darin enthaltenen
Plane entspricht; denn das Parlament hat ihr durch die Annahme des Budgets
im voraus zugestimmt^). Aber das Finanzgesetz enthält nur einen Plan, nicht
eine feste Regel, denn die Zukunft läßt sich nicht genau voraussehen. Stellt es sich
als rätlich, ja vielleicht als notwendig heraus, so wird die Regierung, die ja vor
allem das Staatsinteresse wahrzunehmen hat, von den Ansätzen abweichen müssen.
Aber sie wird es zu verantworten und zu rechtfertigen haben. Zu Kredit-
überschreitungen ist die nachträgliche Genehmigung des Parlamentes erforderlich
im Finanzgesetze überhaupt nicht vorgesehene Aufwendungen sind nur auf Grund
eines in gesetzlicher Form bewilligten Nachtragskredits zulässig.
Das moderne Budgetrecht hat sich zwar ausdemständischen Steuer-
bewilligungsrechte entwickelt, ist aber rechtlich ganz anders zu beurteilen
wie dieses. Die den Fürsten von den Ständen bewilligten Steuern waren, in der
Blütezeit der ständischen Macht wenigstens, freiwillig gewährte Beüülfen; die
Stände konnten sie auch versagen, denn sie standen den Fürsten Machtgegen Macht
gegenüber. Anders das moderne Parlament. Als dasjenige Staatsorgan, das zur
Mitwirkung bei der Bildung des Staatswillens in der Form von Gesetzen und
zur Kontrolle der Verwaltung berufen ist, darf es sich dieser Aufgabe auch dann
nicht entziehen, wenn der Inhalt des Gesetzes der Plan für den Staatshaushalt
und die Steuerbe^villigung die Form ist, um ihm die erforderlichen Mittel zuzu-
führen. Die Steuern werden in Wirklichkeit weder dem Fürsten noch der
Regierung „bewilligt"; es handelt sich vielmehr um die pflichtgemäße Beschluß-
fassung darüber, welcher Aufwand zur Erfüllung der Staatsaufgaben gemacht
*) Die Grundzüge des österreichischen Staatsvoranschlags für das Jahr 1911 sind aus der
Tabelle 29 des Anhangs zu entnehmen.— ') Auf die Abgabenpflicht der Untertanen hat die
Steuerbewilligung keinen Einfluß; sie beruht auf den einzelnen Steuergesetzen. Die Steuer-
bewilligung kommt nur für die Verantwortlichkeit der Regierimg in Betracht.
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Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918