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XLVIII. Das Budgetrecht. 221
und wie er gedeckt werden soll. Diesen Beschluß darf das Parlament nicht
ablehnen, denn ohne üin kann die Staatsmaschine nicht ordnungsgemäß arbeiten.
Einzelne Budgetposten mag ja das Parlament verweigern oder kürzen, wenn
es die Aufwandzwecke oder die Höhe des Aufwandes mißbilligt; aber die Absicht
einer Ablehnung des gesamten Staatsvoranschlages oder unentbehrlicher Posten
kann nur die sein, eine mißliebige Regierung zu zwingen, einer dem Parlamente
genehmeren Platz zu machen, der es das Budget bewilligen will. Das setzt aber
voraus, daß die Oppositionsparteien eine regierungsfähige Mehrheit zu bilden
vermögen, d. h. daß sie nicht etwa nur in der Gegnerschaft gegen die bekämpfte
Regierung sich zusammengefunden, sondern auch über ein Programm sich ver-
ständigt haben, das wenigstens die di-inglichsten Angelegenheiten der nächsten
Zeit umfaßt. Ist es schon fraglich, ob diese Voraussetzung zutrifft, so bringt die
Budgetverweigerung auch leicht einen Eingriff in das Recht des Monarchen mit
sich, die Minister nach freiem Ermessen zu ernennen oder zu entlassen. Es handelt
sich also in letzter Linieum eine Machtfrage,derenLösung nicht Sache des Rechtes,
sondern der Politik ist. In Österreich wird dieser Frage allerdings die Spitze dadurch
abgebrochen, daß die Verfassung die Aufstellung des Staatsvoranschlages und der
Budgetprovisorien in der Form der Notverordnung^) keineswegs ausschließt,
wofern damit nur nicht die Aufnahme von Staatsanlehen oder die Veräußerung
von Staatsgut verbunden ist. Das Parlament kommt dann erst gelegentlich der
Prüfung der Notverordnung zum Worte; dann wird auch die oft schwierige Frage
zu entscheiden sein, ob die Voraussetzungen für die Erlassung einer Notverordnung
überhaupt gegeben waren^).
Die Finanz- und damit auch die Verwaltungskontrolle obliegt
zunächstdemObersten Rechnungshofe. Er ist eine den Ministerien nebengeordnete,
selbständige Zentralstelle. Auf Grund der Teilrechnungen, die von den Rechnungs-
departementsderanweisendenBehördeverfaßtwerden, stelltderOberste Rechnungs-
hof den Zentralrechnungsabschluß über die tatsächliche Finanzgebarung eines
jeden Jahres auf; er vergleicht sie mit den Ansätzen des Finanzgesetzes und er-
stattetdem Kaiser einen Bericht über seineWahrnehmungen, insbesondere darüber,
ob und inwieweit die etwa vorgekommenen Abweichungen gerechtfertigt sind.
Dieser Bericht bildet zugleich die Grundlage für die Beurteilung der Geschäfts-
führung durch das Parlament. Sein Urteil über die gesamte Gebarung spricht es
schließlich aus durch Erteilung oder Verweigerung des Absolutoriums (der Ent-
lastung) an die Regierung; allfällige Bemerkungen werden in die Form von Re-
solutionen gekleidet. Da es sich dabei um die Kontrollbefugnis des Parlamentes
handelt, geht jedes der beiden Häuser des Reichsrates selbständig vor.
Die besondere staatsrechtliche Gestaltung der österreichisch-ungarischen
Monarchie bringt es mit sich, daß der Aufwand für die als gemeinsam anerkannten
• Angelegenheiten^) den Gegenstand eines abgesonderten, von den Delegationen
zu beschließenden und vom Kaiser zu sanktionierenden Voranschlages bildet.
Der Abgang, der nach Abzug des den gemeinsamen Angelegenheiten gewidmeten
») Vergl. oben S. 142.— ')Während der sogenannten Obstruktionszeit ist die Staatsw-irtschaft
lediglich auf Grund von Budgetprovisorien geführt worden, die durch kaiserliche Verordnungen
erlassen worden sind. Der Verfassung der Rechnungsabschlüssewurden die (infolge der Obstruktion
nicht zum Gesetze erhobenen) Entwürfe der betreffenden Finanzgesetze zugrunde gelegt. —
=>) Vergl. oben S. 62 f.
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Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918