Seite - 191 - in biografiA. - Lexikon österreichischer Frauen, Band 1, A – H
Bild der Seite - 191 -
Text der Seite - 191 -
Bálint | B 191
Laufbahn: A. B. wuchs im psychoanalytischen Milieu in Budapest auf. Nach der Scheidung
der Eltern verblieb sie mit ihren beiden Geschwistern beim Vater, der zu ihrer Erziehung
eine Gouvernante bestellt hatte, die von den Kindern jedoch als verrückt wahrgenommen
wurde. Nach sieben Jahren in der Obhut dieser Kinderfrau kehrten die drei zu ihrer Mutter
zurück, deren zweiter Ehemann, der Architekt Frédéric Kovács, sie adoptierte.
Nach dem Ersten Weltkrieg ging A. B. mit ihrem Mann, dem Psychoanalytiker Michael
Balint, (* 3. 12. 1896 Budapest), nach Berlin, wo sie ihre psychoanalytische Ausbildung am
Berliner Psychoanalytischen Lehrinstitut (beide waren in Analyse bei Hanns Sachs) absol-
vierten. 1923 wurde A. B. Mitglied der Berliner Psychoanalytischen Vereinigung.
1924 kehrten sie zurück nach Budapest und Anfang 1926 wechselte sie in die Ungarische
Psychoanalytische Vereinigung. In Budapest schlossen beide Balints ihre psychoanalytische
Ausbildung bei Sándor Ferenczi ab. Die Balints gehörten zu den einflußreichen ungarischen
Analytikern vor dem Zweiten Weltkrieg. Ihr Mann war der stellvertretende Leiter der Po-
liklinik, die ebenfalls im Hause Kovács untergebracht war. 1939 emigrierte das Ehepaar
nach Manchester und arbeitete am Aufbau einer psychoanalytischen Arbeitsgruppe mit.
A. B. starb im August des selben Jahres im Alter von 40 Jahren in Manchester an einer Ge-
hirnblutung. Fenichel schrieb daraufhin:
„Wieder ist einer jener Psychoanalytiker, die erkannt haben, daß die Anwendung der Ent-
deckungen Freuds auf die Soziologie wichtiger ist als die Heilung von einigen Neurotikern,
gestorben: A. B. Sie hat nie zu unserem ‚Kreise‘ gehört, sich stets gegen die Lehren von Marx
und Engels gewandt, ja, diese im Wesentlichen für unvereinbar mit Freud gehalten. Aber sie
hat diese Werke wenigstens gelesen, ihre Bedeutung erkannt und sich mit ihnen ernsthaft
auseinander gesetzt. Ihre eigenen soziologischen Ansichten, die sie dabei entwickelte, waren
meist weit ‚dialektisch materialistischer‘, als sie selbst wußte und zugab, – wobei sie nur im-
mer in einer merkwürdigen Weise bei der Anerkennung der primären Natur der materiellen
Bedürfnisse haltmachte. Es war schade, daß sie ihr eigentliches Fach, die Ethnologie, später
vernachlässigte, und wir hatten gehofft, daß ihr in letzter Zeit stets zunehmendes Soziolo-
gie-Interesse sie wieder dorthin zurückführen werde. Dazu ist es nicht mehr gekommen.
Ihre letzte publizierte Arbeit: Liebe zur Mutter und Mutterliebe, die sie in Prag vortrug,
wo ich sie gegen allzu heftige Kritik verteidigen mußte, war klinisch, aber zweifellos von
soziologischer Bedeutung.“ (Fenichel 1998, S. 1290.) In Berlin forschte A. B. im Museum
für Völkerkunde, 1923 erschien ihre erste ethnologische Studie „Die mexikanische Kriegs-
hieroglyphe atl-tlachinoli“ in der Zeitschrift „Imago“. Eine weitere Arbeit A. B.s, in der sie
ethnologisches Material verarbeitete, wurde ebenfalls in der „Imago“ unter dem Titel „Der
Familienvater“ (1926) publiziert. A. B. beschäftigte sich vor allem mit der Kinderanalyse,
Erziehungsfragen und der Mutter-Kind-Beziehung. In ihren Fallstudien griff sie oft auf
ethnologische Materialien für kulturvergleichende Betrachtungen zurück. Regelmäßig pu-
blizierte sie in der ungarischen Zeitschrift „Gyermeknevelés“ (Kindererziehung). Auch aus
ihren populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen wird ihr Interesse an einer psychoana-
lytischen Ethnologie deutlich.
Das Ehepaar Bálint war seit ihren Berliner Jahren mit Otto Fenichel befreundet. Dieser
stand mit ihnen in regelmäßigem Briefverkehr und diskutierte ihre Arbeiten in seinen
Rundbriefen (Fenichel 1998). A. B. hatte des öfteren die Arbeiten ihrer Psychoanalyti-
biografiA.
Lexikon österreichischer Frauen, Band 1, A – H
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- biografiA.
- Untertitel
- Lexikon österreichischer Frauen
- Band
- 1, A – H
- Herausgeber
- Ilse Korotin
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79590-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 1422
- Kategorie
- Lexika