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Blannbekin | B 333
als Vertreterin einer Lebensform apostrophiert, die für den österreichischen Raum als nicht
typisch angesehen werden kann. Von A. B. abgesehen, wird erstmals 1314 für Wien eine
Begine genannt. In der Stadt lebte sie offensichtlich allein in einem eigenen Haus oder
einer eigenen Wohnung, vielleicht in der Nähe der Minoritenkirche, aus dessen Konvent
ihr Beichtvater stammte. Über ihre näheren Lebensumstände ist nichts weiter zu erfahren,
weder über ihre religiöse Ausbildung noch, wo sie lesen gelernt hat und auch nicht, wie sie
ihren Lebensunterhalt finanzierte. Ebenso bleibt ihre Beziehung zu anderen in der Vita ge-
nannten gleichgesinnten weiblichen Religiosen und deren Lebensform unkonkret. Mit ih-
ren Verwandten hielt sie weiterhin Kontakt, und mitunter verreiste sie. Zwar denk-, jedoch
nicht belegbar ist, dass sich A. zu einem unbekannten Zeitpunkt dem dritten Orden der
Franziskanerinnen (Franziskanertertiarinnen) anschloss, der in Wien 1306 nachgewiesen ist.
Ihre religiöse Praxis und Frömmigkeit war bestimmt von täglichem Kommunizieren, der
Absolvierung des Stundengebets und den Besuch verschiedener Kirchen Wiens - nament-
lich angeführt werden Sankt Stephan, Sankt Michael und Sankt Jakobus (Kirche des Klos-
ters der Augustinerchorfrauen auf der Hülben; 1784 abgerissen) -, sowie durch die durch das
Kirchenjahr bestimmten Fastenzeiten und den damit verbundenen asketischen Buß- und
Gebetsleistungen. Viel Zeit dürfte sie auch mit ihrem franziskanischen Beichtvater ver-
bracht haben, dessen Namen nicht bekannt ist, der mit der Herzogin (wohl Elisabeth von
Görz-Tirol † 1313) in Kontakt stand. Was A. auszeichnet und sie von anderen frommen
Frauen unterscheidet, sind die ihr in ihren Ekstasen zuteil gewordenen mystischen Erleb-
nisse und Schauungen.
Ihre erste Vision hatte sie am Tag des heiligen Michael (29. September) 1281. Die Visio-
nen bieten auch ein Forum, Kritik an ihrer Umwelt zu üben. A. B. kritisiert das unwür-
dige Verhalten von Priestern, weder der Passauer Bischof noch die kirchlichen Zustände
nach dem Tod des Papstes (Nikolaus IV. † 4. April 1292), bleiben vom Tadel verschont,
ebenso wenig Brüder des ihr sehr verbundenen Minoritenorden. Gleichermaßen standen
die weltlichen Angehörigen der städtischen Gesellschaft unter ihrer kritischen Beobach-
tung.
Am 10. Mai 1315 ist sie, laut der Schlussanmerkung der heute verschollenen Straßburger
(mittelhochdeutsche Fassung) Neresheimer Handschriften (14. Jahrhundert), verstorben.
W.: Das 225 Kapitel umfassende Buch ihrer Offenbarungen (ed./übersetzt Dinzelbacher
/ Vogeler 1994; englische Übersetzung Wiethaus 2002) hat ihr Beichtvater, für den sie ein
„charismatisches Orakel“ (Dinzelbacher 2007) war, aufgezeichnet. Wenngleich das Ausmaß,
mit dem A. B. auf die Gestaltung Einfluss genommen hat, sich schwer bestimmen lässt und
ihr keineswegs die alleinige Autorschaft (so Classen 1998) zugeschrieben werden kann, ist
das Werk als Gemeinschaftsarbeit anzusehen, in dem einer weiblichen Stimme in einer
Männerkirche Gehör verschafft wurde.
L.: Classen 1998, Dinzelbacher 2007, Dinzelbacher/Vogeler, Stoklaska 1987, Stoklaska 1988,
Wiethaus 2002
Ingrid Roitner
biografiA.
Lexikon österreichischer Frauen, Band 1, A – H
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- biografiA.
- Untertitel
- Lexikon österreichischer Frauen
- Band
- 1, A – H
- Herausgeber
- Ilse Korotin
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79590-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 1422
- Kategorie
- Lexika